Kanzler spricht Machtwort

BERLIN. Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums nahm die Sache sportlich: Mit dem Bundeshaushalt sei es wie im Fußball - stehe das Ergebnis nach 90 Minuten nicht fest, "dann geht es in die Verlängerung". Was Jörg Müller locker aus dem Munde kam, hatte freilich einen dramatischen Hintergrund.

Eigentlich wollte das Kabinett gestern die Eckpunkte für den Etat 2004 debattieren. Doch dazu kam es nicht, weil Kassenwart Hans Eichel noch immer einige Milliarden fehlten, um ein ordnungsgemäßes Zahlenwerk präsentieren zu können. Aus Eichels Sicht ließ sich das Geld nur aus dem Haushalt von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) besorgen. Aber dort biss der Hesse bis gestern Nachmittag auf Granit. So schaltete sich der Kanzler persönlich ein, um den Streit zu schlichten. Im Anschluss an die Kabinettsrunde beorderte Gerhard Schröder beide Minister zu sich. Nach einem Machtwort erklärte sich Ulla Schmidt dann schweren Herzens zu Zugeständnissen bereit. In Regierungskreisen war von einem Betrag "weit unter drei Milliarden" Euro die Rede, um Eichels Löcher mit zu stopfen. Schon am Dienstag hatten die beiden Streithähne in einer gesonderten Runde um jeden Euro gefeilscht. Sieben Milliarden wollte der Hesse zu Beginn der Haushaltsverhandlungen von Schmidt haben. Zuletzt pochte er auf vier Milliarden. Aber auch das lehnte Schmidt ab. Die Sozialministerin ist zwar von heiterem Gemüt, kann aber ungemein hartnäckig sein, wenn es um die Interessen ihres Hauses geht. Mehr Krankenkassenbeiträge für Rentner im Gespräch

Erinnert sei nur an die Anhebung der Tabaksteuer, die Schmidt dem Finanzminister für die Finanzierung der Gesundheitskosten abtrotzte. Im aktuellen Fall war ihre Lage allerdings etwas komplizierter. Denn Ulla Schmidt will alles daran setzen, um einen drohenden Anstieg des Rentenbeitrages abzuwenden. Deshalb sah sie sich auch immer außer Stande, darüber hinaus noch weitere Finanzmittel aus ihrem Haushalt heraus zu operieren. Ein paar Reserven dafür gibt es jedoch allemal. Die Sozialministerin braucht etwa drei Milliarden Euro, um den prognostizierten Beitragssprung von 19,5 auf 19,8 Prozent im nächsten Jahr zu verhindern. Dafür ist sie bereit, die Rentner stärker zu belasten. So könnten die Ruheständler künftig 60 statt 50 Prozent ihrer Krankenkassenbeiträge übernehmen. Für den Durchschnittsrentner bedeutet das monatlich etwa 16 Euro weniger an verfügbarem Einkommen. Allein dadurch würde die Rentenkasse 2,7 Milliarden Euro sparen. Auch Hans Eichels Haushalt profitiert davon in einem gewissen Umfang. Denn auf diese Weise bleibt der Bundeszuschuss für die Rentenkasse konstant. Eine Anhebung des Beitrages um 0,3 Prozentpunkte würde dagegen automatisch eine Erhöhung des Zuschusses um 600 Millionen Euro bedeuten. Seit Wochen ist für die Rentner jedoch auch eine Nullrunde in der Diskussion. Dadurch käme 2004 zusätzlich eine Milliarde Euro zusammen. Außerdem ließe sich die Mindestreserve der Rentenkasse weiter absenken, was ebenfalls einen Milliardengewinn bedeutet. Allerdings nur als einmaliger Effekt. Das Sozialministerium wollte solche Maßnahmengestern nicht ausschließen. Noch am Vormittag hieß es, man sei auf der Suche nach "geeigneten Instrumenten", um den Beitrag stabil zu halten. "Der Haushalt wird rund werden"

Mit der Einigung von Schmidt und Eichel steht dem Haushalt nun nichts mehr im Wege. Den entscheidenden Schliff bekommt er allerdings erst nach der groß angekündigten Regierungsklausur am kommenden Wochenende auf Schloss Neuhardenberg bei Berlin. Die dort zu erwartende Ankündigung für eine vorgezogene Steuerreform hat nämlich weitreichende Auswirkungen auf Eichels Zahlenwerk. Sein Sprecher Jörg Müller begab sich dazu übrigens noch einmal in die Welt des Sports, als er Sepp Herberger ("Der Ball ist rund") in leicht abgewandelter Form zitierte: "Der Haushalt wird rund werden".

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