Karlsruhe sagt Nein zum Großen Bruder

Die Bürgerrechtler zeigten sich in Siegerlaune. Das Karlsruher Nein zur automatischen Massenkontrolle von Autonummern in Hessen und Schleswig-Holstein sei eine rote Karte für Schnüffelnasen, hieß es bei den Grünen. Von einem Dämpfer für den Überwachungswahn der Innenminister sprach die Linke, von einer Absage an die grenzenlose Prävention die FDP.

Karlsruhe/Mainz. (dpa/win) In den Jubel stimmte allerdings auch Jörg Schönbohm, Innenminister in Brandenburg, ein. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei eine wichtige Bestätigung für die Polizei auf ihrem technischen Entwicklungsweg. Schönbohm hatte Anlass zur Freude, weil Karlsruhe sein Landesgesetz zum Kennzeichen-Scanning - obwohl es nicht zur Prüfung stand - lobend erwähnt hatte, sozusagen als Muster für den Rest der Republik. Zugleich aber nahm der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz zustimmend zur Kenntnis, dass das höchstrichterliche Nein zu den Gesetzen in Hessen und Schleswig- Holstein auch ein unübersehbares Ja enthält: Der elektronische Abgleich von Autonummern mit den Fahndungsdatenbanken der Polizei ist grundsätzlich erlaubt - wenn Voraussetzungen und Grenzen klar geregelt sind. Denn der Erste Senat mit seinem beim Datenschutz federführenden Richter Wolfgang Hoffmann-Riem hatte den Landesgesetzgebern zwei Dinge vorzuwerfen: handwerkliche Schlampigkeit und mangelnde Grundrechts-Sensibilität. Vor allem die Hessen haben ein Gesetz produziert, das den flächendeckenden Einsatz der Technik zugelassen hätte, um ein präzises Bewegungsprofil von Autofahrern zu zeichnen. Rheinland-Pfalz will als Folge des Urteils über die Rasterfahndung per PKW-Erfassung sein Polizeigesetz ändern. Es werde vermutlich nachgebessert, um die Voraussetzungen konkreter zu fassen, sagte Innenminister Karl Peter Bruch dem TV. Allerdings müsse erst das von ihm in dieser Grundrichtung erwartete Urteil ausgewertet werden. Im Land ist vorgegeben, dass die Überwachung nur bei einem konkreten Anlass eingesetzt werden kann. Landesweit gab es laut Bruch noch keine derartige Fahndung - auch deshalb, weil die Polizei derzeit nicht über die notwendige Technik verfügt.

Meinung

Unter Kontrolle

Von Stefan Vetter

Die Karlsruher Verfassungsrichter bleiben ihrer Linie treu. Wenige Tage nach ihrem wegweisenden Urteil zu heimlichen Computer-Durchsuchungen haben sie auch der elektronischen Ausspähung von Millionen Autokennzeichen durch die Polizei enge Grenzen gesetzt: Autonummern sollen nur erfasst werden, wenn sie sich tatsächlich auf den Fahndungslisten etwa wegen eines Fahrzeugdiebstahls wiederfinden. Ist das nicht der Fall, müssen die Informationen umgehend gelöscht werden. Dieses Grundprinzip hat Karlsruhe für rechtens erklärt. Wem das zu weit geht, der dürfte auch nie ein Flugzeug betreten. Hier ist die Unschuldsvermutung ebenfalls außer Kraft gesetzt. Zu fragen bleibt allerdings, warum es auf dem sensiblen Feld der Massenkontrollen bei Autos einen gesetzlichen Flickenteppich in Deutschland gibt. Während Hessen und Schleswig-Holstein am Pranger stehen, weil dort Bewegungsprofile von Autofahrern möglich waren, haben die obersten Richter das entsprechende Gesetz in Brandenburg gelobt. Warum es keine einheitliche Regelung in Deutschland gibt, wird sich den Bürgern kaum erschließen. nachrichten.red@volksfreund.de

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