Katrinas Opfer flehen um Hilfe

New Orleans . Kranke, die auf den Straßen sterben. Bewaffnete Plünderer und Vergewaltiger. Hunger, Durst. Bei Zehntausenden, die "Katrina" überlebten und seit nunmehr fünf Tagen auf Hilfe warten, wächst von Stunde zu Stunde die Verzweiflung. Und die Wut.

Ray Nagin, der Bürgermeister von New Orleans, ist normalerweise ein ruhiger, besonnener Mann. Doch normal ist nichts mehr in der in den Fluten versinkenden Stadt am Mississippi. Eine seit gestern nach einer gewaltigen Explosion brennende Ölraffinerie, deren mächtige grauschwarze Rauchwolke sinnbildlich für die dunkle Zukunft der Stadt gesehen werden kann."Es ist eine nationale Schande, was hier abläuft"

Und so hatte Nagin für US-Präsident George W. Bush, der am Freitag bei seiner ersten Tour durch die Katastrophengebiete auch einen Stopp auf dem Flughafen von New Orleans machen wollte, nur Worte der Bitterkeit und Empörung bereit: "Tausende sind gestorben, und tausende sterben jeden weiteren Tag. Und wir schaffen es nicht, Hilfe zu organisieren? Das ist unfassbar. Ich bin stinksauer." Und: "Schickt mir Busse und Soldaten! Bewegt endlich eure Ärsche!" Der so Gescholtene räumte denn auch kleinlaut das für jedermann offensichtliche Versagen der Behörden bei der "größten Hilfsaktion, die Amerika jemals gesehen hat" (Bush) ein. "Es ist eine nationale Schande, was hier abläuft", wetterte beispielweise CNN-Kommentator Jack Cafferty, "warum werden diese Menschen nicht aus der Luft mit Wasser und Lebensmitteln versorgt? Weil sie Schwarze sind?" Stundenlang strahlte CNN parallel nebeneinander gesetzte Szenen aus: Links Behördenvertreter wie der hilflos wirkende und manchmal um Worte ringende Heimatschutz-Minister Michael Chertoff, rechts Bilder verzweifelter Kinder und Frauen, die flehend die Arme nach oben strecken und meist nicht mehr als ein Glas Trinkwasser wollen. Dass täglich gerade einmal 1400 zusätzliche Nationalgardisten in die betroffene Region gebracht werden und dabei teilweise aus so weit entfernten Staaten wie Wisconsin kommen, weckt zudem den Argwohn, dass die Katastrophenschützer unter einem von der Regierung bestrittenen eklatanten Mangel an Mensch und Material leiden. "Man hat uns hier völlig vergessen", sagt die 56-jährige Phyllis Patrick in einem Handy-Notruf aus einem Hotel in New Orleans. Man könne wegen der marodierenden Banden nicht auf die Straßen gehen, die letzte Mahlzeit habe aus einem Schluck Wasser und einem trockenen Keks bestanden. In einigen Polizeirevieren der Stadt verbarrikadierte man unterdessen die Türen, um sich vor Angreifern zu schützen. Zwar sind mittlerweile die ersten Busse mit Evakuierten in Houston (Texas) eingetroffen, und vom für den zivilen Verkehr weiter geschlossenen Flughafen werden weiter kritisch Kranke von Hubschraubern evakuiert. Doch noch immer harren Zehntausende in der zerstörten Stadt aus, und in zwei zentralen Krankenhäusern spitzt sich die Lage angesichts zu Ende gehender Wasser- und Medikamentenvorräte sowie einer nur aus Notstrom-Aggregaten bestehenden Energieversorgung zu. Irak-Krieg statt Hochwasser-Schutz

Dass die US-Regierung unter Präsident Bush unter massive Kritik geraten ist, dürfte nach Einschätzung politischer Beobachter dem ohnehin auf Talsohle verharrenden Ansehen des Texaners in den USA weiter erheblich schaden. Nicht nur, dass seine nur fünfminütige Ansprache nach dem Durchzug von "Katrina" von den Medien teilweise verheerende Noten erhielt. Am Freitag sind in Washington auch Dokumente bekannt geworden, aus denen hervorgeht, dass wegen des Irak-Krieges staatliche Millionen-Zuschüsse zur Verfestigung der Deiche rund um New Orleans drastisch reduziert worden waren.

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