Kein Handschlag, aber Schuhe aus

TRIER. Die Anschläge muslimischer Extremisten in New York und Madrid haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der westlichen Gesellschaft eingegraben. Heute existiert eine Art Ur-Angst vor dem Islam und Menschen, die aus islamischen Ländern kommen. So beschäftigt die Frage des gegenseitigen Vertrauens nicht nur Politiker.

Muslime in Deutschland gibt es mindestens seit dem achten Jahrhundert, als Karl der Große und der Kalif von Bagdad, Harun al-Raschid, Diplomaten ausgetauscht haben sollen. Handel wurde zwischen Orient und Okzident rege getrieben, und auch Studenten überschritten die Grenzen in beiden Richtungen, seit Universitäten existieren. Und doch: Eine richtige Annäherung hat es nie gegeben, auch nicht, als nach dem zweiten Weltkrieg immer mehr Muslime nach Deutschland kamen, um am Wirtschaftsaufschwung mitzuarbeiten und teil zu haben. Heute leben über drei Millionen Muslime in Deutschland. Die Angst vor dem Fremden bleibt, und die Anschläge auf die Twin Towers in News York und den Bahnhof in Madrid haben ein Übriges dazu getan, ein eventuelles Vertrauen auf eine harten Probe zu stellen - politisch, aber auch in den Köpfen der Menschen. Dagegen angehen wollen in Deutschland lebende Muslime und engagierte Christen mit Diskussionsforen und Vorträgen.Kaum Muslime in deutschen Parteien

Eine solche Veranstaltung war die mehrtägige Reihe "Islam in Deutschland - auf dem Weg in die Parallelgesellschaft" in der katholischen Akademie Trier. Einer der Programmpunkte: ein Vortrag des Geisteswissenschaftlers Wolf D. Aries, Angehöriger des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland und gleichzeitig der Gesellschaft muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler (GMSG) in Köln. Mit 13 konvertierte er zum Islam. "Die Gründe kann ich Ihnen nicht nennen, es geschah aus der Pubertät heraus", sagt der gebürtige Deutsche, der zum engagierten Muslim wurde. Den Islamrat gründete er mit, ebenso die Gesellschaft muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler. Der Islamrat hat 31 Mitgliedsverbände. Acht davon gehören laut Wolf Aries zur umstrittenen Gruppierung Milli Görüs, über deren Verfassungskonformität immer wieder diskutiert wird. "Ich bin mit deren Ansichten nicht immer einverstanden, aber auch in diesem Fall setzen wir eben auf den Dialog", sagt Aries zur Legitimation dieser Zugehörigkeit. Dass Milli Görüs daher im Islamrat wegen seiner großen Mitgliederzahl ein hohes Mitspracherecht habe, "ist eben so". In seinem Vortrag bei der katholischen Akademie in Trier betont Aries immer wieder, dass sich gläubige Muslime in Deutschland in der Minderheit befänden und auch stets als eine solche behandelt würden. "In den großen Parteien sitzen wohl einige Muslime. Doch haben sie Führungspositionen inne? Nein!", sagt er. Die arabische Welt generell sei aus militärischer und ökonomischer Sicht benachteiligt. Ein Kernpunkt seines Vortrages ist die Definition von Vertrauen und die Vermeidung des Gegenteils von Vertrauen, der Angst. Die entstehe auch durch einem "Konflikt der Höflichkeitssysteme" - verschiedene Körpersprache und unterschiedliche Bräuche machten eine Kommunikation oft schwierig - und natürlich durch eine verzerrte Berichterstattung in den Medien.Lebhafte Diskussion über Dialogbereitschaft

Die Diskussion im Anschluss ist lebhaft. Seminarteilnehmer bei der katholischen Akademie Trier sind Richter, Staatsanwälte, Lehrer, Polizisten, aber auch kirchlich Engagierte verschiedener Herkunft, die sich schon bei einer Veranstaltung am Vortag über die Kopftuchdiskussion - Referentin war die Ordensschwester Lea Ackermann - nach Aussage des Leiters der Akademie Günter Gehl "rege eingebracht" haben. "Wir suchen ja den Dialog, aber die muslimischen Mitbürger lassen uns nicht ins Innere ihrer Moscheen, wollen sich nicht öffnen", beklagt einer. "Menschen aus islamischen Ländern haben Probleme, Fremden gegenüber Schwächen zu zeigen, deswegen wollen sie ihre innersten Strukturen niemandem offenbaren", erläutert Aries aus Erfahrung. Ein weiteres Problem sei der unterschiedliche Stellenwert der Religion in der westlichen und der islamischen Gesellschaft. Ein Muslim wundere sich nun mal, wenn er seinen deutschen Arbeitskollegen frage, was er denn am Sonntag gemacht habe, und dieser ihm nur von der Familie und vom Fußball erzähle, nicht jedoch von der Kirche. "Da denkt sich der gläubige Muslim schon mal: Scheiß Christen!", fasst Aries plastisch zusammen. "Ich habe mich bei meinen Reisen in den Osten sehr geärgert, dass mir als Frau nicht die Hand gegeben wird", prangert eine Seminarteilnehmerin an. Anpassung und Höflichkeit solle es auf beiden Seiten geben, genau, wie Christen in der Moschee die Schuhe auszuziehen gewillt seien. Der generelle Tenor der Diskussion: Man sei bereit zu Verständigung und Offenheit. Schnell jedoch stoße man an Grenzen. "Es gibt auf beiden Seiten viel zu tun", sagt Aries - eine recht allgemeine Lösung des Problems. "Ich wollte nur Denkanstöße geben."

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