Kein klarer Beweis

Nach monatelanger Untersuchung im Fall Kurnaz/Steinmeier kommt das "Hohe Gericht" nicht zu einem einheitlichen Urteil. Die Anklage lautete, der jetzige Außenminister und damalige Kanzleramtschef habe wissentlich einen Unschuldigen in Guantanamo schmoren lassen.

Zahlreiche Zeugnisse belegen aber, dass die Behörden im Jahr 2002 gute Gründe hatten, davon auszugehen, dass der Deutsch-Türke an der Schwelle zum Terrorismus stand. Und dass sie kurz nach den Anschlägen von New York und Bali besonders vorsichtig sein mussten. Andererseits bleibt nach der Beweisaufnahme die ebenso begründete Frage, warum man die gleichfalls vorhandenen Hinweise, dass der Mann doch nicht so gefährlich war, nicht ernsthafter prüfte. Vor allem, warum so lange nicht. Untersuchungsausschüsse sind politische Gremien. Ein Teil der Mitglieder will Steinmeier kippen. Der andere ihn halten. Weil es den schlagenden Beweis bisher nicht gibt, wird der Prozess im Unentschieden enden. Kein Rücktritt, kein Freispruch, doch an Steinmeier bleibt etwas hängen. Was darüber hinaus bleiben wird, sind zwei Lehren. Erstens die von den Medien, die allzu sehr Politik machen wollten. Lange bevor der Angeklagte gehört war, zogen einige schon ihr Fazit. Steinmeier habe die Verletzung von Menschenrechten zugelassen und müsse zurücktreten. Gestützt war dieses Urteil auf einer einseitigen Würdigung und Wiedergabe der Beweislage. Getrieben wurde es von Sensationsgier. Alle Seiten hören, prüfen, wägen, das sollte als Leitidee des Journalismus wieder prägender werden. Die zweite Lehre ist die von den Menschenrechten und der Diplomatie. Steinmeier wurde eingeholt von den Widersprüchen der rot-grünen Außenpolitik. Diese Regierung opferte, wie andere vor ihr, im Kleinen manchen moralischen Anspruch, weil sie ihren Mut im Übergeordneten schon aufgebraucht hatte. Schröders deutsch-russische Achse, richtig, aber warum gleich so distanzlos zu Putin? Das gute Verhältnis zu China, alternativlos, aber warum deshalb das Waffenembargo aufheben? Das Nein zum Irak-Krieg, wohlbegründet, aber warum dann so viel schlechtes Gewissen, dass man auch fragwürdige amerikanische Antiterrorismusaktionen wie die CIA-Flüge verdeckt unterstützte. Die Lehre muss lauten, dass es keine noch so wichtige Zielsetzung gibt, die Zurückhaltung in Menschenrechtsfragen rechtfertigt. Steinmeier ist nun selbst Außenminister und hat, sofern er aus dem Fall Kurnaz auch Lehren gezogen haben sollte, alle Chancen, den entstandenen Eindruck zu korrigieren. Er sollte sie nutzen. nachrichten.red@volksfreund.de

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