Kein Quäntchen Einsicht

Es kommt selten vor, dass das Gericht in einem Strafprozess um ein Vielfaches über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgeht. Aber die eigentliche Überraschung im Verfahren gegen den ehemaligen Innenminister Manfred Kanther war nicht das hohe Strafmaß des Urteils, sondern die Milde der Ankläger.

Es kommt selten vor, dass das Gericht in einem Strafprozess um ein Vielfaches über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgeht. Aber die eigentliche Überraschung im Verfahren gegen den ehemaligen Innenminister Manfred Kanther war nicht das hohe Strafmaß des Urteils, sondern die Milde der Ankläger. Über eine Geldstrafe für Kanther wäre zu reden gewesen, wenn er wenigstens ein Quäntchen Einsicht gezeigt hätte. Dass er nicht zwecks eigener Bereicherung gehandelt hat und dass er glaubte, im Sinne einer guten Sache tätig zu sein, wäre als deutliche Milderung seiner Schuld zu werten gewesen – wenn er denn eingeräumt hätte, überhaupt Schuld auf sich geladen zu haben. Aber der einstige Saubermann der Nation hat bis zum bitteren Ende nicht kapiert, dass eine Straftat auch dann eine Straftat bleibt, wenn man sie vermeintlich zugunsten seiner Partei begeht. Kanther hat immer nur von einem "Fehler" geredet, den er mit seinem Rücktritt längst bezahlt habe. Ließe man das durchgehen, was wollte man einem notorischen Ladendieb sagen, der sich vor Gericht damit entschuldigt, er habe doch nie für sich geklaut, sondern immer nur für seine Freundin, und im übrigen sei er durch das Hausverbot in dem beklauten Laden schon genug bestraft? Das Gericht hat deutlich gemacht, dass es bei den Millionen-Schiebereien in Sachen Parteivermögen nicht um ein Kavaliersdelikt geht, sondern um Kriminalität. Das ist ein Signal, das auch denjenigen in den Ohren klingen sollte, die vor wenigen Tagen so fröhlich den Fünfundsiebzigsten von Helmut Kohl gefeiert haben. Da gibt es noch eine ungeklärte Rechnung, auch wenn das alle am liebsten vergessen würden. Für künftige Parteispendensammler hält das Urteil von Wiesbaden jedenfalls eine klare Ansage bereit: Die Gesetze in diesem Land gelten für alle. Sogar für die, die sie machen. d.lintz@volksfreund.de

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