Kein Schampus, keine Küsschen, keine Umarmungen

BERLIN. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag ist fertig – heute werden die Unterschriften daruntergesetzt. Die Sache soll ohne jeden Pomp über die Bühne gehen.

In vielen Geschichtsbüchern dürfte sich dieses Foto finden: Gerhard Schröder und Joschka Fischer, wie sie nebeneinander triumphierend den zweiten Koalitionsvertrag im rot-grünen Mäppchen hochhalten. Das war vor drei Jahren, und die einstigen Koalitionäre mochten es festlich und pompös. In der neuen Berliner Nationalgalerie wurde das 88 Seiten umfassende Werk damals unterzeichnet. Anschließend gab es wie schon 1998 Schampus, Küsschen und Umarmungen. Heute sind wieder historische Bilder zu erwarten, wenn Union und SPD nach 39 Jahren erneut einen Vertrag über eine große Koalition besiegeln werden. 130 Seiten sind es, dazu kommen noch die Pläne zur Reform des Föderalismus. Vom gewollten Pomp und Glanz ihrer Vorgänger nehmen die neuen Koalitionäre aber bewusst Abstand. Die vor ihnen liegende Zeit wird anstrengend genug. Denn diese Elefantenhochzeit ist anders als die Ehe von Roten und Grünen eine ungeliebte. Außerdem will man als "Arbeitskoalition" in die Geschichte eingehen. Also legen Union und SPD heute eine neue Bescheidenheit an den Tag, auch, weil der Koalitionsvertrag von Mehrwertsteuererhöhung bis Aufweichung des Kündigungsschutzes für die Bürger einige Zumutungen enthält. Die schlichte Zeremonie findet ganz unspektakulär im Paul-Löbe-Haus gegenüber dem Kanzleramt statt, wo die Abgeordneten vor allem eines tun: in den Ausschüssen arbeiten. Dort gibt es "viel umbaute Luft", wie Parlaments-Spötter gerne sagen. Soll heißen, es ist reichlich Platz. Im Innenraum des Gebäudes werden 500 Stühle aufgebaut, ein Podium und ein Rednerpult. Kleine Ansprachen halten vor der Unterzeichnung die designierte Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Edmund Stoiber und der neue SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck. Herzen wird man sich natürlich nicht, hochtrabende Gefühle, die 2002 oder noch mehr 1998 bei Schröder und Fischer aufkamen, hegt man ohnehin nicht füreinander.Die erste Probe wartet am Dienstag

Die Koalitionäre werden schließlich nicht müde, von Zweckehe und "Lebensabschnittspartnerschaft" zu sprechen. Zumal über dem Bündnis schon die ersten handfesten Konflikte schweben, wie der immer deftiger werdende Zoff um den Haushalt 2006, die Rekordneuverschuldung und die Verfassungsmäßigkeit des Etats zeigt. Auch beim Antidiskriminierungsgesetz gehen schon die Meinungen auseinander. Die erste wirkliche Probe wartet am Dienstag auf die Koalitionäre, wenn Angela Merkel zur Kanzlerin gewählt werden soll. Von ihrem Wahlergebnis, heißt es aus Unionskreisen, hänge ab, ob die große Koalition (und mit ihr Merkel) gleich einen Fehlstart landet - oder ob der Eindruck entsteht, sie sei geschlossen und damit handlungsfähig. Sicher ist, dass Merkel nicht alle Stimmen aus dem schwarz-roten Lager erhalten wird. Hinter den Kulissen werden seitens der Genossen stets Vorbehalte gegen sie als Person und gegen die große Koalition als Ganzes genannt. Union und SPD verfügen im Bundestag zusammen über 140 Stimmen mehr als für die Kanzlermehrheit (308) erforderlich ist. Da geheim gewählt wird, können Abgeordnete also frei ihre Entscheidung treffen. Das bedeutet aber auch, dass Unzufriedene aus der CDU/CSU-Fraktion unerkannt Merkel die Stimme verweigern können. Wie immer auch das Ergebnis ausfallen wird, gewählt ist am Ende gewählt. Bereits am Dienstagabend will die CDU-Chefin daher ins Kanzleramt einziehen. Mittwoch folgt dann prompt die erste Auslandsreise - nach Paris.

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