Keine Blöße vor dem "Rüpel"

BERLIN. Rückendeckung für Angela Merkel: Trotz des Debakels der Union bei der Bundestagswahl wurde die Kanzlerkandidatin mit einem Rekordergebnis von 98,6 Prozent als Fraktionschefin von CDU/CSU wiedergewählt.

Der Abgeordnete Reinhard Grindel aus Niedersachsen brachte es schließlich auf den Punkt: "Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert", winkte Grindel auf seinem Weg in die Fraktion von CDU und CSU ab, "wenn wir Angela Merkel jetzt nicht unterstützen würden". Gesagt, getan. Das Ergebnis, das die Unionskanzlerkandidatin gestern bei der Wahl zur Fraktionsvorsitzenden eingefahren hat, ist überwältigend: 219 Abgeordnete votierten für sie, nur drei Abgeordnete dagegen. Das sind stolze 98,6 Prozent - trotz des miserablen Abschneidens der Union und ihrer Kandidatin bei der Bundestagswahl. Doch die stärkste Fraktion im neuen Bundestag war angehalten worden, unbedingt ein deutliches Signal zu setzen.Dass es daher für Merkel gut laufen würde, stand außer Zweifel. Man merkte und hörte es auch schon, als sich die Parlamentarier der Union unter der Reichstagskuppel versammelten. Da wurde die Rückendeckung für Angela Merkel besonders offen zur Schau gestellt: "105 Prozent", prognostizierte CDU-Generalsekretär Volker Kauder scherzend, werde das Wahlergebnis Merkels betragen. Auch Pfarrer Peter Hinze erwartete freudig erregt "ein supersupergutes Ergebnis" für die Kandidatin. Und selbst Peter Gauweiler, der CSU-Außenseiter in der Fraktion, der alles andere als ein Freund Merkels ist, meinte: "Meine Stimme hat sie." Alle für eine. Und damit alle gegen die seit dem Wahl-Desaster über Merkel und die Union unaufhörlich frotzelnden Genossen von der SPD. Die Kanzlerkandidatin der Union bekam den propagierten Rückenwind gleich zu spüren, als sie über den Hintereingang mit CSU-Chef Edmund Stoiber den Fraktionssaal betrat - um ja den unzähligen Journalisten zu entgehen. Minutenlang war der Applaus, nach Verkündung des Ergebnisses für Merkel soll er sogar "stürmisch" gewesen sein, wie Teilnehmer berichten.

Abgeordnete auf Geschlossenheit getrimmt

Die Unionsabgeordneten waren von ihrer Führung schließlich auf Geschlossenheit getrimmt worden. Denn das Rennen, der Wahlkampf um die Kanzlerschaft, beginnt ja gerade erst. Und um Merkel in den anstehenden Gesprächen, die sie in dieser Woche mit den anderen Parteien führen wird, eine starke Position zu geben, brauchte die Kandidatin einen deutlichen Rückhalt durch die Fraktion. Nun kann sie gestärkt verhandeln. Eigentlich wollte die CDU-Chefin allerdings gar nicht mehr für den Fraktionsvorsitz kandidieren. Doch das unerwartet schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl machte ihr die sicher geglaubte Kanzlerschaft zunichte. Noch etwas kam hinzu: Dem amtierenden Regierungschef Gerhard Schröder, dem "Rüpel aus Hannover", wie ein Abgeordneter meinte, wollte man partout keinen Grund zum Jubeln geben mit einer Abstrafung Merkels.

Während der Sitzung betonte die Ostdeutsche noch einmal den "Führungsanspruch" der Union. Kritische Stimmen zum Wahlkampf gab es nicht. CSU-Chef Edmund Stoiber appellierte an die Abgeordneten, nach außen mit der Wahl Merkels ein Zeichen zu setzen. Dem Vernehmen nach soll der Bayer sich gegenüber einer Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen nicht abgeneigt geäußert haben. Zumal der Weg dorthin, hieß es gestern, nun einfacher sein könnte, weil sich Außenminister Joschka Fischer jetzt auf die Hinterbank des Parlaments zurückziehen will.

Vor dem Reichstag wurden die Abgeordneten jedenfalls schon von fünf Jamaikanern in farblich passender Kleidung begrüßt, die ein Fernsehsender aufgeboten hatte.

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