Keine Lust auf die Fabrikation gehorsamer Systemzwerge

Er war so etwas wie das "linke Gewissen" der Uni Trier: Bernd Hamm, seit über 30 Jahren streitbarer Soziologie-Professor und lokaler Aktivist, geht in den Ruhestand. Und zwar so, wie man ihn kennt: Mit einem wortmächtigen "Blick voraus im Zorn".

 Der Soziologie-Professor Bernd Hamm verlässt den Hörsaal. Foto: Sabine Hamm

Der Soziologie-Professor Bernd Hamm verlässt den Hörsaal. Foto: Sabine Hamm

Trier. (DiL) Irgendwie muss es zwei Bernd Hamms geben. Der eine ist ein lustvoll drauflosholzender Verbalradikaler, der - rhetorisch bravourös - alles geißelt, was seinem Weltbild und seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Wenn er gegen "skrupellose Cliquenwirtschaft" und "betrügerische Machenschaften" wettert, gilt das meist seinem Lieblingsfeind, dem US-Imperialismus samt dem zugehörigen Amtsträger im Weißen Haus. Aber es dürfen sich auch schon mal lokale Würdenträger betroffen fühlen.Professor Jekyll und Mr. Hyde

Und da ist jener Bernd Hamm, den man kennenlernt, wenn man ihm im Gespräch zuhört. Ein witziger, augenzwinkernder, herzlicher, (selbst-)ironischer Typ, der mit präzisen Argumenten überzeugt. Professor Jekyll und Mr. Hyde sozusagen. In Hamms unentrinnbar hessisch grundierter Sprachfärbung vorgetragen, entwickeln selbst Verbal-Injurien einen eigenwilligen Charme. Kein Wunder, dass er sich Johan Galtung als Redner für seine Abschiedsfeier gewünscht hat, den alternativen Nobelpreisträger und Guru aller neuzeitlichen Alternativbewegungen. Der kann immerhin in zwölf Minuten den unvermeidlichen Untergang des US-Imperiums wissenschaftlich ableiten - was freilich auch nicht ohne einen Schuss Ironie über die Bühne im Hörsaal 5 geht. "Freund und Vorbild" nennt Hamm den Norweger, beides ist unübersehbar. Der Raum ist voll bei Hamms letzter Vorlesung, obwohl sie am späten Freitagnachmittag stattfindet und knapp die Nettospielzeit von zwei Fußballspielen erreicht. Fast alle sitzen sie da, die inzwischen weitgehend emeritierten Veteranen der fortschrittlichen Trierer Wirtschafts wissenschaftler-Ausbildung: Die Soziologen Hahn und Eckert, die Volkswirte Spehl und Filc. In den 70er und 80er Jahren waren sie das machtvolle Gegengewicht innerhalb der konservativ dominierten Trierer Hochschul-Neugründung. Und ihr in ergebnisorientiertem Ringen mit den weniger progressiven Fachkollegen entwickeltes Trierer Studien modell galt einst als bundesweites Vorzeige-Projekt.1977 stieß Hamm dazu, ein Quereinsteiger mit absolvierter Buchdrucker-Lehre, einigen Jahren in der Stadtverwaltung Bern und einer dann atemberaubend schnell verlaufenden akademischen Karriere. Seine Erkenntnis, dass weltweites, nationales, regionales und lokales Geschehen unmittelbar miteinander zusammenhängen, brachte er in den neuen Sektor der Stadt- , Regional- und Siedlungssoziologie ein. Eine Soziologie mit unmittelbar praktischen und politischen Bezügen - verbunden mit dem Bedürfnis, sich einzumischen und akademische Inhalte dem Praxis-Test auszusetzen.Aktiv und konsequent

Daraus ergaben sich viele, vom örtlichen "Establishment" nicht immer mit Genuss goutierten Aktivitäten, in den vergangenen Jahren vor allem über die "Lokale Agenda". Dass mit Klaus Jensen inzwischen ein langjähriger Weggefährte an der Stadt-Spitze steht, hat der Lust am Engagement sicher keinen Abbruch getan. Einen Kopf wie Hamm könnte die SPD in der Kommunalpolitik für den nächsten Stadtrat gut gebrauchen - zu dumm, dass er seine Mitgliedschaft bei den Genossen einst gekündigt hat, nachdem Kanzler Schröder beherzt in Afghanistan einmarschierte. Da ist der 63-Jährige konsequent, wie auch bei seinem vorzeitigen Abgang von der Hochschule. Er habe keine Lust mehr auf die "schleichende Gehirnwäsche", die überall in der Gesellschaft nur noch den "neoliberalen Kapitalismus" als Option zulasse. An der Uni heiße das "Bachelor und Master", das System neuer Abschlüsse, das die Hochschule zur "Absolventenfabrik für gehorsame Systemzwerge" degradiere, die man "fertig nach Bedarf gestanzt den Unternehmen anliefert". Rrumms, da kracht es noch mal so richtig im Hörsaal, und man weiß nicht recht, will da einer provozieren oder ist es wirklich ein bitterer Abschied. Fürs Malen, Fotografieren, Lesen und Reisen wird Bernd Hamm künftig mehr Zeit haben. Er freue sich "auf die reale Welt", sagt er. Es wäre überraschend, wenn er der Versuchung widerstehen könnte, sie mitzugestalten.In der von Bernd Hamm organisierten öffentlichen Reihe "Kolloquium Zukunft" kommt als letzter Referent am Donnerstag, 3. Juli, um 18 Uhr Ex-Umweltminister und Uno-Umweltchef Klaus Töpfer in den Hörsaal 6 an der Uni. Thema: "Europa, Vorreiter globaler Umweltpolitik?"

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