Keine Panik wegen Pocken

Berlin . Das Thema köchelt schon seit Wochen, jetzt ist es richtig heiß geworden: In Deutschland geht die Angst vor einer Pocken-Infektion um.

Die Bundesregierung versuchtbeim Thema Pocken-Gefahr den schwierigen Spagat zwischenInformation, die nicht zu Panikreaktionen führt, und vorsichtigerWarnung, die dem theoretischen Ernst der Lage gerecht wird. DieOpposition sieht zahlreiche offene Fragen, weshalb sie eineBundestagsdebatte zur Sache fordert. Die Bundesregierung steht vor einem Dilemma. Verniedlicht sie das Problem, macht sie möglicherweise einen unverzeihlichen Fehler; übertreibt sie im verständlichen Eifer, schürt sie Ängste in der ohnehin verunsicherten Bevölkerung. Die bisherigen Erklärungen der Minister Otto Schily (Innen) und Ulla Schmidt (Gesundheit) tragen nicht unbedingt zur Beruhigung bei: "Die Sicherheitslage ist sehr angespannt, es gibt auch eine abstrakte Gefahr - aber eine konkrete Bedrohung besteht nicht."

Opposition will "ganze Wahrheit" wissen

Ausgelöst hatte die neue Debatte ein Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", die unter Hinweis auf ein internes Papier aus dem Gesundheitsministerium geschrieben hatte, möglicherweise verfüge der Irak über Bio-Kampfstoffe. Weil im Fall eines amerikanischen Angriffs auf den Irak "zu befürchten" wäre, Bagdad könne mit Pockenviren reagieren, sei unter Umständen mit 30 bis 40 Prozent Todesfällen zu rechnen, "das heißt etwa 25 Millionen Menschen allein in der Bundesrepublik". Schily hatte auf diesen Bericht bereits am Samstag heftig reagiert und vor unverantwortlicher Panikmache gewarnt.

Auch nach den Worten des Hamburger Biowaffen-Experten Jan von Aken ist das beschriebene Horrorszenario "vollkommen übertrieben". Die Gefahr, von einem Blitz getroffen zu werden, sei um ein Vielfaches höher. Zudem gibt es nach Angaben der Sicherheitsbehörden keinerlei Erkenntnisse, wonach der Irak über menschliche Pockenviren verfügt.

Schmidt-Sprecher Klaus Vater hatte am Montag alle Hände voll zu tun, die Hintergründe des ominösen Papiers aus dem Gesundheitsministerium zu erklären. Die Vorlage sei auf die Bund/Länder-Arbeitsgruppe nach dem 11. September 2001 zurück zu führen. Damals habe man sechs Millionen Dosen Pockenimpfstoff beschafft. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Katherina Reiche hieß es im Mai 2002 ergänzend, es gebe "dokumentierte Erkenntnisse, die eine grundsätzliche Bedrohung weltweit begründen". Dem Vernehmen nach waren die "dokumentierten Erkenntnisse" aber eher allgemeiner Natur. Der Ausdruck sei vor allem deshalb in das Papier gelangt, weil man den Haushaltsausschuss mit der "drastischen Sprache" habe überzeugen wollen, entsprechende Mittel zu bewilligen.

Die Bundesregierung will bis Ende des laufenden Jahres 100 Millionen Impf-Einheiten gekauft haben. Gegenwärtig horten Bund und Länder rund 40 Millionen Dosen des Impfstoffs, der im Notfall selbst vier Tage nach einer Infektion noch wirksam schützen kann. Das Gesundheitsministerium bat am Montag eindringlich, alles zu vermeiden, was Panik und Angst auslösen könnte". Bereits jetzt werde das Ministerium von Anrufen und E-Mails überhäuft.

Die Opposition will gleichwohl Klarheit schaffen über die "Widersprüchlichkeiten zwischen Schily und Schmidt". Deshalb fordere man "noch in dieser Woche" eine Bundestagsdebatte zu den möglichen Pocken-Gefahren, sagte CDU-Chefin Angela Merkel am Montag. Auch der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle will "die ganze Wahrheit" wissen. Dazu der Bio-Experte Jan von Aken im ZDF: "Ich verstehe die Diskussion nicht". Es gebe "nicht den Hauch eines Hinweises", dass Deutschland von Pockenviren bedroht sei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort