Kinder sind keine kleinen Monster

TRIER. Sie heißen "Super-Nanny" oder "Super-Mamas" und drillen mit lauten Worten und knallharten Regeln die Kinder. Im Fernsehen haben Erziehungs-Shows Hochkonjunktur. Darüber sprachen wir mit dem Kölner Erziehungswissenschaftler Christian Lüdke.

Warum brauchen wir eine Super-Nanny? Sind Eltern unfähig, ihre Kinder zu erziehen? Lüdke: Ich glaube nicht, dass sie unfähig sind. Familien haben einfach ihre Funktion verloren. Kinder stehen nicht mehr im Mittelpunkt, eher Beruf und Geld. Daher versuchen Kinder, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zu Hause, in der Schule, unter Freunden. Welche Folgen hat das? Lüdke: Die Kinder sind orientierungslos. Vorbild für die Kinder sollten in erster Linie die Eltern sein. Wenn die aber keine Rolle mehr spielen, suchen sich die Kinder eben andere Idole. Dadurch fällt die Familie immer mehr auseinander und die Kinder werden auffällig. Stichworte: Gewalt, Drogen.Aber brauchen die Eltern eine "Super-Nanny", um diese Probleme zu erkennen? Lüdke: Nein. Das ist ein vollkommen falscher Ansatz. Die Sendungen geben ein vollkommen falsches Bild wider. Die Kinder spiegeln in ihrem Verhalten nur das wider, was sie zu Hause erleben. Statt die Kinder vorzuführen, müsste man den Eltern klar machen, welche Rolle sie gegenüber ihren Kindern haben. Wenn Chaos im Kinderzimmer herrscht oder der Kleine herumbrüllt, ist die Ursache immer bei den Eltern zu suchen und nicht beim Kind. Was ist denn eine richtige Erziehung? Lüdke: Vielleicht sollte man da einfach mal vom Begriff Pädagogik ausgehen. Er kommt aus dem Lateinischen und Griechischen. "Pädos" ist das Kind und "agogen" heißt führen. In Rom gab es früher in besser gestellten Häusern einen Sklaven, der nur die Aufgabe hatte, die Kinder vom Elternhaus zur Schule und wieder zurück zu führen. Das waren die Pädagogen, also die Kinderführer. Erziehung heißt nichts anderes als Kinder zu führen und zwar unter den Prinzipien: Stärken stärken und ‘Hilf mir, es selbst zu tun'. Mit anderen Worten: Kinder brauchen ganz klare Grenzen, aber an sich haben sie alles in sich, um eigenständige Persönlichkeiten zu werden. Klingt sehr einfach. Trotzdem gibt es in jedem Elternhaus Krisensituationen, in denen es einfach mal kracht. Was läuft da schief? Lüdke : Kinder entwickeln und verändern sich natürlich. Und diese Phasen werden oft missgedeutet. Eltern können meist nicht einschätzen, was normales und was auffälliges Verhalten ist. Wenn Kinder trotzen oder sich mit den Eltern streiten, gehört das zur Entwicklung hinzu. Dann sind die Eltern gefordert, einen solchen Konflikt zu lösen. Ob bei "Super-Nanny" oder "Super-Mamas": Kinder werden fast immer als kleine Monster dargestellt. Bewirkt das nicht vielmehr, dass Eltern Angst bekommen, Kinder zu erziehen? Lüdke: Man tut den Kindern mit solchen Sendungen Unrecht. Sie sind keine kleinen Monster. Es gibt natürlich mal Phasen, in denen sie sich so verhalten. Aber sie werden durch diese Darstellung total entwertet. Wo lernen Eltern aber überhaupt Erziehung? Lüdke: Erziehung ist ein Prozess, sie beginnt bei der Geburt. Sie ist abhängig davon, in welcher Rolle sich die Eltern sehen. Diese müssen in erster Linie dem Kind Werte vermitteln: Höflichkeit, Selbstbeherrschung, Toleranz. Also sind die unzähligen Erziehungsratgeber überflüssig? Lüdke : Erziehung ist immer situationsabhängig. Wichtigste Voraussetzung für eine gute Erziehung ist, dass Eltern ihre Kinder bedingungslos lieben. Eltern müssen konsequent sein und die Erziehung muss absolut gewaltfrei sein. Ein Kind kann auch ohne Schläge bestraft werden, etwa, wenn eine Belohnung ausbleibt. Erziehung ist nur so gut, wie die Beziehung zwischen den Eltern ist.

Das Gespräch mit Christian Lüdke führte TV-Redakteur Bernd Wientjes.

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