Kinderbetreuung fristet Schattendasein

BERLIN. Der familienpolitische Teil des Unions-Wahlprogramms stößt bei Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und beim WunschKoalitionspartner FDP auf Kritik. Bemängelt wird vor allem, dass die Union im Falle eines Wahlsiegs im Bund keine Anstrengungen zum Ausbau der Kinderbetreuung unternehmen will.

Die letzte Kinderbetreuungs-Studie des deutschen Jugendinstituts in München besagt, dass durchschnittlich zehn Prozent der Eltern schon im ersten Lebensjahr ihres Kindes eine Betreuung wünschen; im zweiten Jahr sind es ein Drittel und im dritten Lebensjahr schließlich mehr als die Hälfte der Väter und Mütter. Der Bedarf an Betreuungsplätzen muss also groß sein. Länder werden in die Pflicht genommen

Doch im "Regierungsprogramm" von CDU und CSU taucht das Wort "Kinderbetreuung" nur einmal auf – die familienpolitischen Pläne der Union stoßen auch deshalb auf massive Ablehnung. Die umtriebige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) hat nachgeschaut: "Im Wahlprogramm der Union sucht man und sucht man und findet nur ganz wenige, konkrete Aussagen zur Familienpolitik." Auf Seite 25 des Papiers stehen die vier wesentlichen Punkte: In die Rentenversicherung wollen die C-Parteien einen Beitragsbonus für Eltern von monatlich 50 Euro für jedes ab 2007 geborene Kind einführen, finanziert durch die Abschaffung der Eigenheimzulage. Außerdem ist ein Grundfreibetrag von 8000 Euro pro Kind geplant, und nach Umsetzung der einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie 2007 oder 2008 sollen alle Kinder beitragsfrei versichert werden. Zu guter Letzt: Den Ausbau der Kinderbetreuung wollen CDU und CSU künftig gänzlich den Landesregierungen überlassen. Das war’s, mehr steht nicht drin im Wahlprogramm. Selbst innerhalb der Union sind inzwischen kritische Töne über das schwache, familienpolitische Erscheinungsbild zu vernehmen. Dennoch, sollte die Union die Wahl im Herbst gewinnen, werden sich die familienpolitischen Schwerpunkte deutlich verschieben. Denn anders als bei Rot-Grün sollen seitens des Bundes keine Anstrengungen mehr unternommen werden, die Kinderbetreuung weiter zu verbessern. Mehr Geld für Familien statt mehr Betreuung lautet statt dessen das schwarze Prinzip. Eine Grundidee, die jedoch von vielen Experten als völlig falsch angesehen wird. Das über Jahrzehnte praktizierte Gießkannenprinzip der Transfer-Zahlungen an Familien hat nämlich weder die Geburtenrate erhöht noch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert. Und erst kürzlich hatte der Wirtschaftsweise Bert Rürup mit einem Gutachten belegt, dass bessere Betreuungsmöglichkeiten deutlich dazu beitragen, die Zahl der Neugeborenen und das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu steigern. Ein Ansatz, den Ministerin Renate Schmidt ohne Zweifel in den letzten Jahren verfolgt hat. Gestern rief sie die bundesweiten Aktionstage "Kinderbetreuung" aus. Ziel: Bessere Angebote für Kinder bis drei Jahre

Denn schon seit Januar gilt das Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland, mit dem Kommunen verpflichtet werden, bis 2010 ein ausreichendes Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren zu schaffen. So sollen mindestens 230 000 Plätze in Krippen und bei Tagesmüttern entstehen. Kosten: 1,5 Milliarden Euro, um die die Bundesländer durch die Arbeitsmarktreformen entlastet wurden. Und die sie – wenn auch bislang schleppend – weitergeben sollen an die für die Betreuung zuständigen Kommunen. Der familienpolitische Prioritätenwechsel hin zum Geld zeigt sich auch im Kinderbonus für die Rente. "Kein junges Paar wird sich für ein Kind entscheiden, weil es 50 Euro weniger Rentenbeitrag zahlen muss", mosert Experte Daniel Bahr vom potenziellen Unions-Koalitionspartner FDP. Ministerin Schmidt beziffert die Kosten für den Bonus nach zwölf Jahren auf bis zu fünf Milliarden Euro. Mittel, die "man für Familien sinnvoll in Infrastruktur anlegen könnte, statt es über einen Bonus hinaus zu schmeißen", schimpft sie. Hinzu kommen nach Ansicht der Ministerin verfassungsrechtliche Bedenken, da der Bonus nicht für alle gelten soll. Dadurch betrage der materielle Nachteil für "Mütter, die vor dem 1. Januar 2007 ein Kind bekommen, 14 500 Euro", hat die Familienministerin errechnet.

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