Kinderhilfswerk beklagt schlechte Aufstiegschancen - Umfrage: Politisches Versagen

Berlin · Den Zusammenhang von ungleichen Bildungschancen und Armut haben schon viele Fachleute beklagt. Eine übergroße Mehrheit in der Bevölkerung sieht darin vor allem ein politisches Versagen. Das geht aus dem aktuellen Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerks hervor, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

Selten waren sich die Bundesbürger so einig wie bei diesem Thema: 89 Prozent der Erwachsenen und 84 Prozent der Zehn- bis 17-jährigen sind davon überzeugt, dass von Armut betroffene Kinder weniger Chancen auf einen guten Bildungsabschluss haben und sich die Armut so gewissermaßen auf die nächste Generation überträgt. 83 Prozent finden, dass sich die Politik nur unzureichend darum kümmert.Kaum Hilfe für Alleinerziehende

Für die allermeisten ist auch klar, wie sich das Problem beheben lässt. In einer von Inftratest Dimap durchgeführten Umfrage im Auftrag des Kinderhilfswerks fordern 95 Prozent der Erwachsenen mehr Erzieher und Lehrer. Genau so viele befürworten eine spezielle Förderung für benachteiligte Kinder. 93 Prozent favorisieren ein einheitliches Bildungssystem in ganz Deutschland. 80 Prozent sind der Ansicht, dass Alleinerziehende keine ausreichende Unterstützung erhalten.
Tatsächlich ist diese Bevölkerungsgruppe mit am stärksten von Einkommensarmut betroffen. Etwa 40 Prozent beziehen Hartz IV. Wohl auch deshalb steht die Ganztagsbetreuung an den Schulen hoch im Kurs. 82 Prozent der Befragten wünschen sich mehr davon.

Neu sind solche Forderungen nicht. "Wir haben kein Erkenntnisproblem", räumte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer am Donnerstag bei der Vorstellung der Untersuchung ein. Allerdings dämpfte die CDU-Politikerin auch gleich die Erwartungen. Als "überzeugte Föderalistin" vermied sie grundlegende Kritik am Bildungssystem. Wohl aber sei an dieser Stelle "mehr Zusammenarbeit und Vergleichbarkeit zwischen den Ländern" geboten, meinte Kramp-Karrenbauer.

Als arm gelten Haushalte, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens ausmacht. Bei einer Familie mit zwei Kindern liegt diese Schwelle gegenwärtig bei 1926 Euro im Monat. Einschlägigen Expertisen zufolge wachsen bis zu 2,5 Millionen Mädchen und Jungen in armen oder armutsgefährdeten Familien auf. Das Kinderhilfswerk bezifferte ihre Zahl gestern sogar auf rund drei Millionen. Darin eingerechnet seien bereits bis zu 400 000 Flüchtlingskinder, darunter viele unbegleitete Kinder und Jugendliche, erläuterte Verbandspräsident Thomas Krüger. Gerade vor dem Hintergrund der Integration gewinne der Zusammenhang von Bildungschancen und sozialer Herkunft an Bedeutung, meinte er.

Die von Krüger angegebene Zahl wird allerdings nicht von allen geteilt. Denn noch weiß keiner, in welchem Tempo wie viele Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Außerdem hätten gerade unbegleitete Flüchtlingskinder alle Chancen auf schnelle Integration, weil sie in Wohngruppen oder Pflege familien untergebracht seien, meinte Kramp-Karrenbauer. "Es gibt keine Kinderarmut per se, Kinderarmut ist Elternarmut", betonte die CDU-Politikerin.Benachteiligung bei der Bildung

Das macht die Sache allerdings nicht einfacher. Nach einer erst am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung der Bertelsmann Stiftung investieren Eltern pro Monat durchschnittlich 87 Euro in die private Nachhilfe für ihre Kinder, damit sie den Schulstoff schaffen. Im sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket, das die Bundesregierung vor sechs Jahren auf Druck des Bundesverfassungsgerichts für Kinder mit Hartz-IV-Bezug verabschiedet hatte, sind dafür hingegen nur zehn Euro vorgesehen. "Das bittere Problem der Bildungsbenachteiligung" sei "skandalös", klagte Krüger. Zumal "Fortschritte in keinster Weise ersichtlich" seien.

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