Koalition zankt um frei werdende Milliarden

Berlin · Der Staat zahlte bisher Eltern, die ihre Kinder nicht zur Kita schicken, sondern zu Hause betreuen, das sogenannte Betreuungsgeld. Seit das Bundesverfassungsgericht diese Regelung gekippt hat, fragen sich die Parteien: wohin mit den frei werdenden Milliarden?

Berlin. In der großen Koalition ist ein Konflikt über die Verwendung der frei werdenden Haushaltsmittel für das höchstrichterlich gestoppte Betreuungsgeld ausgebrochen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU, Foto: dpa) will damit ungeplante Mehrausgaben begleichen, Familienministerin Manuela Schwesig (SPD, Foto: dpa) den Kita-Ausbau stärken. Die Familienministerin setzte gestern kurzfristig einen Pressetermin an, um ihrer Verärgerung Luft zu machen. Auslöser war ein Zeitungsbericht, wonach Schwesigs Kabinettskollege Schäuble mit den ursprünglich für das Betreuungsgeld gedachten Ausgaben von jährlich bis zu einer Milliarde Euro einen ungeplanten Mehrbedarf beim Elterngeld und den Harz-IV-Leistungen begleichen will. Dagegen meinte Schwesig: Elterngeld und Hartz IV zählten zu den regulären Ausgaben, sie brächten also keine Verbesserung für die Familien. Die Mittel sollten daher für mehr Qualität in den Kitas verwendet werden. Damit bekräftigte die SPD-Politikerin eine Forderung, die schon Ende Juli von ihr zu hören war, als das Bundesverfassungsgericht dem Bund die Zuständigkeit für das Betreuungsgeld abgesprochen hatte.
Die CSU wiederum, der das Betreuungsgeld weiter ein zentrales Anliegen ist, pocht darauf, die ursprünglich veranschlagten Mittel den Ländern zu überlassen, auf dass sie in eigener Regie jene Eltern unterstützen mögen, die ihre Kinder nicht in eine Kita geben. Folglich waren gestern auch die Christsozialen über Schäubles Absicht erbost. "Das Betreuungsgeld ist in der Koalition fixiert, und das Geld steht den Familien zu", erklärte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Zumindest die Finanzfachleute in der Unionsfraktion stehen hinter Schäubles Plan. Der haushaltspolitische Sprecher Eckhardt Rehberg (CDU) rechnete vor, dass das Elterngeld den Bund in den vergangenen vier Jahren gut eine Milliarde Euro mehr gekostet habe als ursprünglich kalkuliert. Für die kommenden drei Jahre werde ein Mehrbedarf von nochmals 1,2 Milliarden Euro erwartet. "Das Elterngeld ist für die nächsten Jahre also deutlich unterfinanziert", so Rehberg im Gespräch mit unserer Zeitung. Hinzu komme, dass das Betreuungsgeld auf die Hartz-IV-Leistungen für ärmere Familien angerechnet werde. Wenn es also auslaufe, müsse der Bund mehr Hartz IV zahlen. "Das heißt, wir müssen erst einmal das ausfinanzieren, was im Haushalt der Familieministerin fehlt", argumentierte Rehberg.
In der SPD lässt man solche Einwände nicht gelten. Der vermehrte Finanzbedarf beim Elterngeld, der vornehmlich daraus resultiert, dass auch immer mehr Väter zugunsten ihrer Kinder eine bezahlte Auszeit vom Beruf nehmen, sei schon lange bekannt. Und dass ungeplante Hartz-IV-Ausgaben im Zusammenhang mit dem Elterngeld den Etat belasteten, sei doch eine "gewagte Argumentation", hieß es bei den Genossen. Auch Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, zeigte sich von Schäubles Vorstoß wenig angetan. "Das Geld sollte für eine Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung verwendet werden", meinte Kahrs ganz im Sinne seiner Parteifreundin Schwesig.
Aus dem Bundesfinanzministerium hieß es gestern lediglich, die koalitionsinternen Gespräche zu dem Thema seien noch nicht abgeschlossen. Bis zum Herbst wolle man zu einer Lösung kommen, erklärte eine Sprecherin.
Extra

Ende Juli hat das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld für Kinder, die nicht zur Kita gehen, sondern von den Eltern zu Hause betreut werden, für verfassungswidrig erklärt. Die Zahlungen des Bundes laufen bis 2018 aus. 2016 werden knapp 400 Millionen Euro frei, danach jeweils bis zu einer Milliarde Euro. vet

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