Kommt der nationale Stabilitätspakt?

Berlin. Nach dem spektakulären Schulden-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nichts mehr so, wie es vorher war. Die Karlsruher Richter hatten vergangenen Donnerstag die Klage des Landes Berlin auf Sanierungshilfen in Milliardenhöhe abgewiesen. Seither ist immer öfter von einem nationalen Stabilitätspakt die Rede.

Mit ungewöhnlich eindringlichen Worten haben die Verfassungsrichter in ihrem Schulden-Urteil Bund und Länder ermahnt, ein tragfähiges Regelwerk für die Vermeidung von Haushaltsnotlagen zu zimmern. Seitdem überschlagen die Ministerpräsidenten und die zuständigen Bundesminister sich mit immer neuen Vorschlägen. Am schärfsten formulierte es gestern die FDP. "Wer die Staatsverschuldung dauerhaft abbauen will, muss die Neuverschuldung im Grundgesetz verbieten", heißt es in einem Beschluss des Parteipräsidiums vom Montag. Ruf nach verbindlichem Stufenplan

Mit einem verbindlichen Stufenplan müsse dafür gesorgt werden, dass die Ausgaben die Einnahmen nicht mehr übersteigen. Eine solche Neuordnung müsse "unverzüglich" auf den Weg gebracht werden, verlangte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel auf einer Pressekonferenz in Berlin. Ähnlich wie Wirtschaftsminister Michael Glos will auch Finanzminister Peer Steinbrück, ausgewiesener harter Sanierer der Bundesfinanzen, strengere Verschuldungsregeln. "Vielleicht sollten wir bestimmte Spielregeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes in das Grundgesetz übertragen", sagte der SPD-Politiker gestern. Um künftig finanzielle Schieflagen zu verhindern, könnten Bund und Länder einer ähnlich scharfen Prozedur der Haushaltsüberwachung unterworfen werden, wie sie für die EU-Staaten gälten. Das Schuldenproblem sei im Übrigen eine gesamtstaatliche Aufgabe. Daher sei ein Bundesgesetz durchaus der richtige Weg - gemeinsam beschlossen von Bundestag und Bundesrat. Längst laufen hinter den Kulissen die Vorbereitungen für eine wirksame Schuldenbegrenzung auf Hochtouren, wie ein Sprecher des Ministeriums gestern bestätigte. Heute haben die Bundesländer praktisch keine gesetzgeberischen Möglichkeiten in der Steuerpolitik und sind damit weitgehend vom Bund abhängig. Zwar bekommen die Länder klar festgelegte Anteile an der Umsatz- und Einkommenssteuer. Die Höhe wird aber auf Bundesebene festgelegt. Über den Bundesrat können sie in gewissem Umfang Einfluss ausüben. In umfangreichen Gutachten haben die Wissenschaftlichen Beiräte von Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium inzwischen Lösungsvorschläge skizziert, die bei den zuständigen Ministern Michael Glos (CSU) und Peer Steinbrück (SPD) auf Sympathie stoßen. Die Beiräte fordern eine Art Steuerautonomie der Länder, zum Beispiel in Form von Zu- und Abschlägen etwa der Grundsteuer oder der Einkommenssteuer. So soll ein hoch verschuldetes Land, bevor es in eine ernsthafte Krise kommt, erst einmal die eigene Bevölkerung zur Kasse bitten können. Die Gutachter wie die Bundesminister versprechen sich davon eine enorme Ausgabendisziplin: Bevor nämlich eine Landesregierung im eigenen Land Steuern erhöht und damit die Bürger vergrätzt, wird sie lieber bei den Ausgaben den Hebel ansetzen. Weitere Überlegung: Nach dem Vorbild des Maastricht-Vertrages sollten jedem einzelnen Land und dem Bund Schuldenobergrenzen zugeteilt werden. Deshalb schlagen die Gutachter auch vor, mit einem ausgeklügelten Gefahrenfrühwarnsystem in jedem Fall rechtzeitig zu verhindern, dass es zu einer "Haushaltsnotlage" kommt. Im Extremfall könnte am Ende ein "verbindliches Sanierungsprogramm mit Auflagen" stehen, dessen Umsetzung von einem so genannten "Stabilitätsrat" überwacht wird. Unter Federführung des Bundesfinanzministers sitzen darin Finanzminister der Länder, Bundesbank, Bundesrechnungshof und unabhängige Sachverständige. Die umstrittene Idee eines "Sparkommissars" würde somit im Kollektiv und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar ausgeübt. Die Länder pochen unterdessen vehement auf Autonomie. "Über die Länderfinanzen entscheiden Länderparlamente und nicht Berlin", sagt nicht nur Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der zugleich eine Bundesratsinitiative zur wirksamen Schuldenbegrenzung ankündigte. Der CDU-Politiker bekräftigte: "Wir brauchen klare gesetzliche Vorschriften, eine Schuldenbremse, ein Frühwarnsystem und auch Sanktionen." Baden-Württemberg und Bayern kündigten darüber hinaus an, sie wollten Schuldenverbote in ihre Landesverfassungen aufnehmen. Das Karlsruher Urteil hat zumindest gezeigt, dass bundesstaatliche Solidarität ihre Grenzen hat.

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