Konsequenzen, Kritik und Kommunikation

BERLIN. Das Willy-Brandt-Haus registrierte gestern Zeichen einer vorsichtigen Entspannung. In den vergangenen Tagen hatten sich tausende Genossen per E-Mail über das Tohuwabohu in der Führung empört. Nun enthält der elektronische Briefkasten auch wieder lobende Kommentare.

Immerhin hat die Parteispitze in kürzester Zeit eine neue Kandidaten-Riege auf die Beine gestellt. Allerdings war es eine schwere Geburt. Das musste auch der neue Hoffnungsträger, Matthias Platzeck, erkennen, als er während einer Sondersitzung des Vorstands seine Personalvorschläge für die fünf SPD-Stellvertreter und den Generalsekretär präsentierte.Statt den Blick nach vorn zu richten, wie es der Parteichef Franz Müntefering vorgegeben hatte, flogen fast bis Mitternacht die Fetzen. Teilnehmern zufolge sprach Finanz-Staatssekretärin Barbara Hendricks von "organisierten Intrigen" und davon, wie "naiv" jene Vorstandsmitglieder am letzten Montag gewesen seien, weil sie Münteferings Favoriten für den Posten des Partei-Generals durchfallen ließen, ohne die Konsequenzen zu bedenken.

Der saarländische Landeschef Heiko Maas habe die Attacken mit der Bemerkung gekontert, die wirklich Naiven seien jene, die glaubten, man habe erst seit diesem Montag ein Problem. "Wir haben seit Jahren Probleme, nämlich elf verlorene Landtagswahlen, Massenaustritte, Linkspartei und keine Strategie", wurde Maas zitiert.

Hauptangriffsziel mehrerer Wortmeldungen war die Parteilinke Andrea Nahles, die die Führungskrise mit ihrer erfolgreichen Kampfkandidatur gegen Kajo Wasserhövel ins Rollen gebracht hatte. Nahles machte klar, dass sie sich nicht für eine demokratische Wahl entschuldigen könne, aber ihren Teil zu der Krise beigetragen habe.

Personalvorschläge gehen glatt durch

Dann gab Nahles ihren Verzicht auf die angebotene Kandidatur zum Stellvertreter bekannt. "Ich fühle mich mitverantwortlich für die Gesamtsituation. Einen Rückzug von Franz Müntefering habe ich nicht gewollt. Daraus ziehe ich nun die Konsequenz", erläuterte Nahles gestern im Gespräch mit dem TV.

Beim konservativen Parteiflügel wurde die Entscheidung begrüßt. "Ich finde ihren Schritt folgerichtig, angesichts der Stimmung, die sich in Partei und Vorstand aufgebaut hat", sagte der Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg. Hinter vorgehaltener Hand war freilich von Vielen zu hören, dass Nahles nur einer Abstimmungs-Blamage beim Bundesparteitag Mitte des Monats zuvorkommen wollte.

In einer eilends anberaumten Sitzung des Präsidiums musste Platzeck am Mittwochabend umdisponieren. Gesucht wurde ein weiblicher Ersatz aus dem linken Lager. So fiel die Wahl auf die frühere Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium Elke Ferner.

Zuvor hatte sich auch Kritik am Kandidaten für den Generalsekretär, Hubert Heil, entzündet, den Platzeck als Referenten im brandenburgischen Landtag bestens kennt. Heil wird ebenfalls nachgesagt, eine siegreiche Kandidatur von Münteferings Favoriten, Kajo Wasserhövel, durchkreuzt zu haben. Doch am Ende ging auch dieser Personalvorschlag glatt durch.

In einer Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion gestern mahnte Platzeck eindringlich einen anderen Umgangsstil in den eigenen Reihen an. Er habe das Gefühl, dass "viel zu wenig miteinander" geredet werde. Dem Vernehmen nach wurde die anschließende Diskussion trotzdem von gegenseitigen Schuldzuweisungen bestimmt. Schließlich griff Franz Müntefering in die Debatte ein, um darzulegen, dass er die Partei ganz bewusst nicht unter Druck setzen wollte, um Wasserhövel zu nominieren: "Ich wollte niemanden erpressen." Manche Abgeordnete verstanden diese Bemerkung als Seitenhieb auf den Basta-Kanzler Schröder, der zur Durchsetzung seiner Agenda-Politik mehrfach mit Rücktritt gedroht hatte.

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