Kraftakt für Glaubwürdigkeit

WASHINGTON. 59 Minuten am Podium, 76 mal unterbrochen von Applaus ­ der rhetorische Kraftakt von US-Präsident George W. Bush vor dem Kongress und der Weltöffentlichkeit enthält am Ende weder ein Ultimatum noch eine Kriegserklärung, doch die Botschaft ist unüberhörbar.

Während in den Katakomben des Kapitols über 800 Gasmasken für den Ernstfall bereit liegen und Justizminister John Ashcroft im Atombunker den Fortbestand der Bush-Regierung auch nach einem Terrorakt sicherstellen soll, erneuert der Präsident seine Vorwürfe gegenüber dem Irak ­ und versucht, die Vorbehalte in der Bevölkerung und bei den Verbündeten gegen eine militärische Lösung zu zerstreuen. Zwar fällt diesmal nicht der Begriff der "Achse des Bösen", doch die Kernsätze Bushs lassen keine Zweifel an seiner Entschlossenheit: Da wird der Despot in Bagdad als Inkarnation des Bösen beschrieben und mit der Bedrohung gleich gesetzt, die von Hitler und den Stalinisten ausging, und der Wille zum Alleingang oder zum Handeln mit einer "Koalition der Willigen" unterstrichen. Das ist ein deutlicher Seitenhieb Bushs in Richtung UN-Sicherheitsrat und jene Nationen, die sich mit der Option einer gewaltsamen Entwaffnung Saddams nicht abfinden können. Doch auch, wenn der Präsident einmal mehr ein deutliches Sendungsbewusstsein offenbart, so zeigt doch sein überraschend detailorientierter Vortrag zu den vermeintlichen Sünden Bagdads, dass er sich der Zweifel im eigenen Land bewusst ist und nun doch noch ein kurzer Aufschub zu erwarten ist. Den will er nutzen zur Beweisführung gegen einen Diktator, der nicht wie gefordert abrüste und die UN "mit völliger Verachtung" strafe, aktiv die Arbeit der Inspektoren untergrabe oder diese täusche, mit Mord und Folter die eigene Bevölkerung in Schach halte und enge Verbindungen zur El Kaida-Terrororganisation unterhalte. Beweise, die US-Außenminister Colin Powell endlich vor dem Sicherheitsrat präsentieren soll. Gleichzeitig verstärkt Bush seine Bemühungen, einem Militärschlag auch eine humanitäre Note zu verleihen: "Euer Feind hat euer Land nicht umstellt, euer Feind regiert euer Land", so seine Definition. "Wichtige Stunden liegen vor uns", hatte sich der Präsident in der Rede an die im Aufmarschgebiet stationierten Soldaten gewandt, verbunden mit der Vorbereitung auf mögliche Verluste: "Manchmal muss der Frieden mit Schmerzen verteidigt werden." Dem Ziel, auch die Bevölkerung auf einen Waffengang einzustimmen, könnte Bush ein Stück näher gekommen sein. In einer ersten Umfrage des Gallup-Institutes und des Senders CNN erklärten immerhin 67 Prozent der Befragten, der Präsident habe eine mögliche Militäraktion in der Rede überzeugend begründet. Vergangene Woche waren dies 47 Prozent. Ob dies ein dauerhafter Stimmungsumschwung ist? Zumindest die Opposition glaubt nicht daran. Sie pocht darauf, dass Bush immer noch keinen dringenden Grund für eine Intervention genannt und einen Krieg politisch schlecht vorbereitet hat ­ und will durch einen Vorstoß von Senator Edward Kennedy versuchen, dem Weißen Haus ein zweites Votum der Kongresskammern aufzuerlegen. Diese hatten im vergangenen Herbst Bush mit überwältigender MehrheitRückendeckung auch für eine militärische Option gegeben. Doch den innenpolitischen Kalamitäten wird George W. Bush so kaum entkommen ­ zu sehr drücken neben der Kriegsgefahr die wirtschaftlichen Sorgen die Stimmung. "Auf zu vielen Wegen bewegt sich unser Land in die falsche Richtung", entgegnete der demokratische Gouverneur des Staates Washington, Gary Locke, auf Bushs Rede. Was deutlich zeigt: Die Opposition will in den kommenden Wochen und Monaten die Versäumnisse des "Kriegs-Präsidenten" vor der Haustür anprangern ­ und dem Mann im Weißen Haus damit das gleiche Schicksal bereiten wie Bushs Vater, der nach dem Golfkrieg 1991 sein Amt an Bill Clinton verlor.

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