Kratzen am Ohr

Mögen deutscher Fleiß und deutsche Gründlichkeit auch im Wirtschaftsleben nur noch Reminiszenzen an ferne Nachkriegszeiten sein: In Sachen staatlicher Regelungs- und Vorschriftenkunst sind wir immer noch unübertroffen.

Zum Beispiel bei der Jagd auf Autofahrer, die - möglicherweise nur im Stau stehend - per Handy telefonieren, aber vergessen haben, ihr Auto auszumachen. Abbiegen ohne Blinken kommt da billiger. Und am Kindergarten muss man auch schon mit ordentlich überhöhter Geschwindigkeit vorbei fahren, damit 40 Euro plus Punkt fällig werden. Wobei Telefonieren ja nur strafbar ist, wenn man mangels technischer Fazilitäten dabei eine Hand benutzen muss. Und genau diese zwingende gesetzliche Logik zeigt auf, welche Lücken im Regelungs-Reservoir noch bestehen. Was ist beispielsweise mit dem Essen am Steuer? Kostet der Hamburger in der Hand des Fahrers demnächst 40 Euro, dann braucht man nur noch Polizeiposten entlang aller McDonalds-Drive-Ins zu installieren, und der Staatshaushalt ist saniert. Oder der Griff zum Autoradio: Wer während der Fahrt den Sender wechselt oder gar die CD austauscht, muss der nicht mindestens die gleiche sozialethische Missbilligung erfahren wie der illegale Telefonierer? Und der Raucher, der sekundenlang seine Fluppe in den Aschenbecher drückt (Sofern es noch einen gibt, der sie nicht zum Fenster rauswirft)? Gar nicht zu reden von der Hand auf dem Knie des Beifahrers oder der Beifahrerin. Ein riesiges, dankbares Feld für unsere Reglementierer. Und wenn die betroffenen Fahrer clever zurückschlagen, die Polizei mit nicht-eingeschalteten Handys bluffen und hinterher sagen "Herr Wachtmeister, ich hab' mich mit dem Ding nur am Ohr gekratzt"? Dann dauert es nicht lange bis zur nächsten Gesetzesnovelle. Die stellt dann das Kratzen am Ohr bei eingeschaltetem Motor unter Strafe. d.lintz@volksfreund.de

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