Krisen-Kanzlerin unter Beschuss

Null Grad unter der Reichstagskuppel: Die Debatte um die mögliche Erhöhung der Gewährleistungen für Griechenland hat die Stimmung auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion verschlechtert. Einige Abgordnete bemängeln die Kommunikation der Kanzlerin.

Berlin. Es ist wieder so ein Tag, an dem die deutsche Politik atemlos von einer Sondersitzung zur anderen hetzt. Am frühen Morgen kommt das Kabinett im Kanzleramt zusammen, um den deutschen Beitrag zum 750 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm für schwächelnde Euro-Länder zu verabschieden (siehe Hintergrund). Dann beraten die Vorstände der Bundestagsfraktionen die Lage bei Krisentreffen, schließlich werden gegen Mittag die Abgeordneten in den Reichstag zu Fraktionssitzungen gerufen. Die Stimmung unter der Glaskuppel ist auf dem Nullpunkt.

Es ist ein beispielloses Hilfspaket zur Verteidigung der Euro-Zone, das da erneut im Galopp durch den Bundestag gebracht werden soll. Laut Gesetzentwurf könnte der deutsche Anteil im Extremfall noch einmal um 20 Prozent auf 147,6 Milliarden Euro erweitert werden.

Die Angst vor den deftigen Schlagzeilen der Boulevard-Zeitungen geht um. Und der Unmut über das Krisenmanagement der Kanzlerin ist überall groß. Die CSU ist stinksauer: Merkel habe am Montag bei einer Telefonschaltkonferenz der Koalitionsspitze Nachfragen von Parteichef Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friederich "barsch" abgebügelt, wird kolportiert. Zudem ist erneut der Streit ausgebrochen, ob Finanzgeschäfte künftig besteuert werden sollen. Die CSU hat sich dabei der SPD-Forderung nach einer Transaktionssteuer angenähert, was die Haushälter der CDU und die FDP vergrätzt. Die Liberalen sind überdies erbost, dass die Union diesmal die SPD, die sich letzte Woche noch enthielt, unbedingt mit ins Boot holen will.

Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke ist der meist zitierte Mann des Tages: "Es bleibt bei den 22,4 Milliarden Euro. Es wird kein einziger Cent mehr". Das hatte er am Freitag im Bundestag gesagt, und keine vier Tage später ist er widerlegt worden. Darüber regt sich die Opposition besonders auf. Geschimpft wird auch über die Kanzlerin, die am Freitag ebenfalls nichts von dem Euro-Drama erzählt hat. "Entweder sie war schlecht informiert, oder sie hat uns hintergangen", sagt die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Petra Merkel (SPD).

Konsequenzen für Innenpolitik gefordert



Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen, nennt das Krisenmanagement der Regierung "unterirdisch". Er habe nämlich bei der Unterrichtung im Kanzleramt am Montag gefragt, was eigentlich sei, wenn die anderen Garantiestaaten selbst ein Finanzproblem bekämen und wie hoch dann Deutschlands Zusatzrisiko wäre: "Erst wussten die es nicht, dann hieß es 20 Prozent. Unterirdisch".

Wie im Falle Griechenlands sehen beide Oppositionsparteien im Grundsatz die Notwendigkeit des Euro-Rettungsschirms ein, stellen aber härtere Bedingungen für ihre Zustimmung als noch letzte Woche. Die SPD hat schon ein Papier erarbeitet, in dem nicht mehr nur eine Finanztransaktionssteuer gefordert wird, sondern jetzt auch ein Verbot von Leerverkäufen und Kreditversicherungen ab 1. Juli. Konsequenzen für die Innenpolitik wollen beide ebenfalls: "Gezielte Einnahmeverbesserungen" steht im Entschließungsentwurf der Sozialdemokraten, sprich Steuererhöhungen. Und Trittin fordert Lohnerhöhungen in Deutschland gegen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa.

Umfrage

Trier. (wie) Was sagen rheinland-pfälzische EU-Abgeordnete zum Euro-Rettungspaket? Der TV hat nachgefragt. Werner Langen (Cochem, CDU): Es ist wie bei einer Grippe: Die Symptome sind kuriert, aber die Krankheit ist noch nicht geheilt. Ich bin sehr skeptisch gegenüber dem Rettungspaket. Wir brauchen auch eine strenge Regulierung des Finanzmarktes. Norbert Neuser (Boppard, SPD): Das Rettungspaket kommt viel zu spät. Um Spekulanten das Handwerk zu legen, müssen Hedge Fonds und private Kapitalbeteiligungsgesellschaften kontrolliert und Produkte, die eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, endlich verboten werden. Jürgen Creutzmann (Dudenhofen, FDP): Das Rettungspaket war eine Notmaßnahme. Kurzfristig wurde der Euro sicherer gemacht, langfristig müssen die tieferen Ursachen konsequent bekämpft werden. Die betroffenen Staaten müssen ihre Leistungsbilanzdefizite beseitigen und ihre Produktivität erhöhen. Hintergrund Das Kabinett hat den Gesetzentwurf zur Euro-Rettung gebilligt. Der deutsche Garantierahmen für Notkredite an klamme Euro-Länder beträgt demnach maximal 123 Milliarden Euro. Er kann auf rund 148 Milliarden Euro steigen, wenn Länder nicht mitziehen, die selbst Hilfen gegen eine Pleite benötigen. "Bei unvorhergesehenem und unabweisbarem Bedarf kann die Garantieermächtigung mit Einwilligung des Haushaltsausschusses um 20 Prozent überschritten werden", heißt es im Gesetzentwurf. Die Garantiezusagen sollen bis 30. Juni 2013 befristet sein. Kosten entstehen für Deutschland zunächst nicht. Die Steuerzahler haften aber für das Risiko. Werden jedoch Notkredite zurückgezahlt und fallen nicht aus, macht der Bund sogar ein gutes Geschäft.

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