Krönung der Karriere

BERLIN. Bundespräsident Johannes Rau nimmt heute Abschied von seinem Amt. Damit beendet er eine bemerkenswerte politische Karriere.

Die letzte Amtshandlung ist gehalten. Ein "Großer Zapfenstreich" im Park von Schloss Bellevue gestern Abend war der letzte große Termin für Bundespräsident Johannes Rau. Beim feierlichen "Helm ab zum Gebet" der Soldaten war Rau sicher innerlich bewegt - wie so oft in feierlichen Momenten. Abschied tut ja auch bekanntlich weh, vor allem wenn er endgültig ist. Denn am letzten Tag seiner Amtszeit als achter Präsident der Bundesrepublik Deutschland, endet zugleich auch der aktive Teil eines Politikerlebens, das seinesgleichen sucht. Natürlich gibt er es nicht zu, doch die bunten Insignien der Macht werden ihm fehlen: Die schwarzen Karossen, roten Teppiche und weißen Mäuse. Das Amtsschloss und die Dienstvilla. Vor allem aber die Aufmerksamkeit der Menschen und Medien. Wie kaum ein zweiter Volks-Vertreter und Volks-Repräsentant lebte Rau für die Bürger, mit den Bürgern und von den Bürgern. Legendär sein Ruf als bibelfester "Menschenfischer", der "versöhnen statt spalten" zu seinem immerwährenden Motto erkor. Gut möglich, dass sich einige jener Zeitgenossen, die ihm das höchste Amt zuvor nicht gegönnt oder zugetraut haben, noch einmal nach seiner verbindlichen und nachdenklichen Art sehnen werden. Johannes Rau, 73 Jahre alt, leiblicher Sohn eines pietistischen Wanderpredigers aus Wuppertal und politischer Ziehsohn des aufgeklärten Liberalen Gustav Heinemann. Buchhändler, Journalist und gescheiterter Kanzlerkandidat (1978). Ein Wissenschaftsminister (in Nordrhein-Westfalen), der weder Studium noch Abitur vorzuweisen hatte, aber gleichwohl die akademische Konkurrenz reihenweise hinter sich ließ. Die Leute mochten den begnadeten Geschichtenerzähler und diskreten Hinterzimmer-Mauschler, der sich nicht nur volkstümlich gab, sondern es auch war. Deshalb wurde "Bruder Johannes" mit seinen Sprüchen, Anekdoten und Witzen 40 Jahre lang in den Düsseldorfer Landtag gewählt, die Hälfte davon als Regierungs-Chef. Keiner amtierte länger als er, keiner hinterließ einen so großen Eindruck, obwohl seine politischen Erfolge eher der Magerstufe entsprachen. So verschleppte er zum Beispiel den notwendigen Strukturwandel im Kohlenpott, es gelang ihm nicht, die Finanzmisere seines Landes auch nur annähernd zu lösen. Doch ernsthaften Schaden nahm er nie: Rau hatte es verstanden, die Seele des größten und wirtschaftlich stärksten Bundeslandes zu verkörpern, ein parteiübergreifendes "Wir-Gefühl" zu vermitteln - und sich die richtigen Freunde auszusuchen. Gustav Heinemann etwa, der zum bewunderten Vorbild und väterlichen Freund wurde. Die SPD-Schwergewichtler Willy Brandt und Helmut Schmidt, zwischen denen er öfters moderieren musste. Und Oskar Lafontaine, mit dem ihn nicht nur der Politikansatz, sondern auch ein Trauma verband: Das Messer-Attentat von 1990, das dem Saarländer lange zu schaffen machte, hatte eigentlich Johannes Rau gegolten. Die Treue zu Freund Oskar dankte dieser 1998 mit einer Geste, die für Rau elementar war: Der damals im Zenit seiner Macht stehende SPD-Vorsitzende Lafontaine setzte gegen parteiinterne Widerstände durch, dass Rau Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten wurde. Es war die Erfüllung eines Lebenstraums. Rau hat das zwar stets, mit mahlendem Kiefer und vorgerecktem Kinn, bestritten.Fehlstart, Leidenszeit und ein gutes Ende

Aber alle, die ihn kennen, bestätigten es: Er wollte unbedingt in dieses Amt. Dort hat er dann zwar - im Stress des Übereifers - einen formidablen Fehlstart hingelegt, der ihm hämische Kommentare und psychosomatische Folgewirkungen bescherte. Doch nach einem Jahr des stillen Leidens (und einer schweren Operation) wendete sich das Blatt in die erhoffte Richtung. Manche Medienleute, die ihm anfangs nicht verzeihen wollten, dass er auch noch partout hatte Präsident werden wollen, schenkten ihm nunmehr Beachtung. Rau fing sich, hielt bemerkenswerte "Berliner Reden" (zum Zusammenleben von Deutschen und Ausländern, zur Gentechnik, zur Globalisierung) und gewann seine alte Sicherheit und Souveränität zurück. Am Ende hatte er tatsächlich alle versöhnt, war er allseits respektiert und schaffte es gar, in Umfragen zum populärsten Politiker des Landes aufzusteigen. Er scheidet, angeblich, ohne Wehmut aus dem Amt, will nun Bücher schreiben und beratend tätig sein. Gut möglich, dass nun eintritt, was er in seiner letzten Düsseldorfer Plenarrede 1998 melancholisch formulierte: "Ich nehme Abschied. Aber ein Stück von mir bleibt zurück."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort