Lähmende Selbst-Blockade

Der Wähler als solcher ist ganz schön gemein. Da erklären ihm die Parteien im Vorfeld der Wahl haargenau, welche Ergebnisse sie keinesfalls haben wollen und welches Lager er gefälligst in welcher Konstellation zusammenbringen soll. Dann geht der Filou hin und wählt genau so, dass aber auch gar nichts geht von den Wunschkonstellationen der Politiker. Und jetzt kommt keiner ohne Gesichtsverlust aus der Nummer raus.Mit den Wahlen in Hessen und Niedersachsen können sich selbst die ignorantesten Parteistrategen nicht mehr um die Erkenntnis herumdrücken, dass sich die politische Landschaft in Deutschland verändert hat. Es gibt keine zwei Lager mehr, sondern fünf politische Kräfte mit vielen Facetten, die sich einer simplen Einordnung entziehen.

Die Linke ist dazugekommen, und zwar nicht mehr als Wurmfortsatz der alten DDR, sondern als Interessenpartei realer oder potenzieller Verlierer einer sich radikalisierenden Marktwirtschaft. Ihr Potenzial wird in den nächsten Jahren tendenziell wachsen, nicht schrumpfen. Da hilft auch die alte Leier von der SED-Nachfolgepartei nichts mehr. Die Links-Wähler vom letzten Sonntag haben nie in der DDR gelebt, und auch im Osten der Republik gibt es inzwischen Wahlberechtigte, die Mauer und Stacheldraht nur noch aus Geschichtsbüchern kennen. So lange man die Linke aus der Verantwortung aussperrt, wird man sie nicht entzaubern können. Die Zähmung und Verbürgerlichung der anarchistischen, basisdemokratischen Grünen begann mit ihrer Beteiligung an der Regierungsmacht. Das wird bei den verbalradikalen Sozialreformern Gysi und Lafontaine nicht anders sein. Fragt sich nur, wie lange die SPD noch die Beleidigte spielt.

Das Aufheben der Quarantäne für die Links-Partei ist aber nur eine Option, um die gefährliche Lähmung bei der Regierungsbildung zu verhindern, die künftig nach immer mehr Wahlen auf Landesebene droht - vielleicht schon in vier Wochen in Hamburg. Alle Parteien müssen runter von dem hohen Ross, nur die bequemsten und politisch einfachsten Konstellationen zu akzeptieren. Warum sollen die Grünen nicht mit einem liberalen, halbwegs umweltfreundlichen Großstadt-Christdemokraten und einer undogmatischen FDP koalieren? Warum sollten die Liberalen nicht in eine mit Augenmaß agierende rot-grüne Ampel-Koalition einsteigen? Warum sollten Große Koalitionen auf Landesebene tabu sein, wenn die handelnden Personen halbwegs miteinander können? Die Denkverbote müssen weg. Demokratisch gewählte und auf dem Boden der Verfassung agierende Parteien müssen grundsätzlich untereinander koalitionsfähig sein. Ob das dann geht oder nicht, kann im Einzelfall nur an den konkreten Inhalten oder Personen festgemacht werden. Der Bürger hält sich die Parteien, damit sie Probleme lösen und Perspektiven bieten. Nicht, damit sie ihm erklären, was alles nicht geht. d.lintz@volksfreund.de

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