Längst Realität

Die fetten Jahre sind vorbei. Vorbei die Zeiten, in denen Unternehmen massenweise Arbeitnehmer mit 45 in den Vorruhestand schickten. Vorbei die Zeiten, in denen der "kollektive Freizeitpark" Deutschland in den Tag hineinlebte.

Nichts ist mehr berechenbar, nichts mehr vorhersehbar, nichts mehr auf Dauer verfügbar. Da muss sich jeder ein wenig Sicherheit hart erkämpfen, zumal in existenziellen Bereichen wie der Arbeitswelt. "Die Kluft zwischen der vertraglichen Arbeitszeit und den tatsächlichen Arbeitszeiten wird immer größer." Das prognostiziert der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Ein Trend, der heute schon in den meisten Unternehmen Realität ist. Wo die Arbeitszeiten erfasst werden, schieben Mitarbeiter Unmengen an Überstunden vor sich her, wo die Arbeitszeiten auf Verantwortung aufbauen, macht jeder längst mehr als die fixierten 35, 37,5 oder 40 Stunden. Selbstständige, Freiberufler und Arbeitgeber eingeschlossen. Der tatsächlich erarbeitete Stundenlohn liegt schon mal nahe den verpönten Ein-Euro-Jobs. Dass in Zeiten wirtschaftlicher Krise, hoher Arbeitslosigkeit und des gesellschaftlichen Umbaus alle mitanpacken müssen, ist nicht nur logisch, sondern auch notwendig. Vorsicht gilt allerdings einem Trend zur "Selbstausbeutung zugunsten des Aufschwungs". Die Wirtschaft ist ein Kreislauf, einer von Angebot und Nachfrage. Wo die Waren in den Regalen liegen bleiben und Aufträge nicht erteilt werden, weil niemand mehr Zeit, Geld und Lust hat zu konsumieren, wird einer gesundenden Wirtschaft ein Bärendienst erwiesen. Die gesellschaftlichen Folgen des Umbruchs in der Arbeitswelt sind derweil noch gar nicht absehbar. Nur eines scheint sich abzuzeichnen. Wer sich nicht mehr auf das staatlich geförderte Sozial- und Gesundheitssystem stützen kann, für den werden Familie und Freunde wichtiger denn je. Ganz nach der jeweiligen Alterssituation. Und an diesem Punkt ließen sich alle Trends zusammenführen: mit einem Konto für die Lebensarbeitszeit. Wer in jungen Jahren viel arbeitet, müsste - je nach Lebensphase - bei der Familiengründung, bei Krankheit und im Alter auf Reserven zurückgreifen können: ohne, dass ihm wie heute der Vorwurf gemacht wird, der Wirtschaft nicht mehr zu "nützen". s.schwadorf@volksfreund.de

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