Langsam macht sich pure Panik breit

Nackte Zukunfts- und Existenzangst - das sind nur zwei Symptome einer weiter eskalierenden Bankenkrise in den USA, deren potenzielles Ausmaß die meisten Experten ebenso ratlos zurücklässt wie Politiker.

Washington/New York. Die ersten kamen eine Stunde nach Mitternacht, um sechs Uhr früh erstreckte sich die Menschenschlange bereits um sechs Häuserblocks. Das neue IPhone als Massen-Attraktion? Nicht an diesem Tag im kalifornischen Pasadena. Denn was Amerikas Öffentlichkeit hier zu Wochenbeginn sah, war ein klassischer "bank run" - ein verzweifelter Ansturm der Massen auf eine Bankfiliale, um die Ersparnisse in Sicherheit zu bringen.

Szenen wie diese spielten sich Montag, Dienstag und Mittwoch bei Niederlassungen des in Schieflage geratenen IndyMac-Finanzkonzerns, gegen deren Manager nun auch das FBI ermittelt, ab - Entwicklungen, die an das Jahr 1929 und die mit einem Börsencrash beginnende "Great Depression"-Ära erinnerten.

Die Polizei von Pasadena musste einschreiten, um den Zorn der Wartenden abzukühlen. Denn viele erfuhren erst von Bankmitarbeitern vor Ort: Ihre Einlagen sind zwar bis 100 000 Dollar durch die staatliche Kreditaufsicht versichert, doch hinter darüber hinaus gehenden Beträgen steht ein dickes Fragezeichen. "Ich habe 400 000 Dollar als Altersversorgung hier angelegt," klagte der 59-jährige Jim Gartner aus Los Angeles. Er fürchtet: "Wenn der größte Teil verloren geht, werde ich bis 75 arbeiten müssen." Nackte Zukunfts- und Existenzangst - das sind nur zwei Symptome einer weiter eskalierenden Bankenkrise in den USA, deren potenzielles Ausmaß die meisten Experten ebenso ratlos zurücklässt wie Politiker. Präsident George W. Bush versuchte nach Bekanntwerden der IndyMac-Probleme und heftigen Spekulationen über weitere Pleiten, mit hilflosen Äußerungen zu beruhigen. "Meine Hoffnung ist, dass die Menschen tief durchatmen", philosophierte Bush. Und: "Es ist eine schwierige Zeit für viele amerikanische Familien."

Rapider Kursverfall bei regionalen Instituten



Da wird ihm derzeit niemand widersprechen - vor allem nicht Peter Bernstein, seit 50 Jahren einer der führenden Finanzexperten an der Wall Street. "Ich habe", sagte der 89-Jährige jetzt, "nie etwas Ähnliches gesehen." Die "giftige Kombination" von dem am Boden liegenden Immobilienmarkt, dem Zittern um die Banken, dem Kursverfall der Aktien und den hohen Energiepreisen seien "einzigartig", so der Finanz-Historiker.

Eine Prognose mag er nicht wagen - doch dies haben bereits andere übernommen. Während Bush bei einer Pressekonferenz versicherte, das Banken-System sei "in sich gesund", sieht dies der New Yorker Analyst Nouriel Roubini ganz anders. Dutzende großer Banken und Hunderte kleiner Institute, die sich stark im Immobiliengeschäft engagiert hätten, werden Bankrott anmelden müssen, prophezeit Roubini. Auch wenn sich zuletzt Bank-Aktien an der Börse wieder leicht erholten - der rapide Kursverfall bei regionalen Instituten zeigt deutlich, dass viele Anleger nicht mehr an ein Überleben dieser Geldverleiher glauben.

Seit ein internes Papier der Bankaufsicht FDIC bekannt wurde, in dem 90 Banken als "gefährdet" bewertet werden, haben Hunderttausende von verunsicherten Kunden bisher eilig Milliardenbeträge bei diesen Instituten abgehoben - was deren Überlebensfähigkeit aufgrund des geringeren Geschäftsvolumens weiter reduziert.

Und: Die Bundespolizei FBI nimmt derzeit neben IndyMac noch 20 weitere Banken wegen deren Hypotheken-Geschäftspolitik unter die Lupe. Immer öfter macht sich deshalb pure Panik breit - wie beim Handel mit den Aktien der führenden und bisher als stabil geltenden US-Regionalbank "National City".

Deren Anteilsscheine haben in den vergangenen zwölf Monaten 90 Prozent ihres Wertes verloren und wurden seit Montag zeitweise vom Handel ausgesetzt, damit die Flut an Verkaufsaufträgen ordentlich abgewickelt werden konnte. Hinzu kommt, dass die ebenfalls angeschlagenen Hypotheken-Giganten Freddie Mac und Fannie Mae nur durch eilige Finanzspritzen aus dem Staatshaushalt weiter geschäftsfähig blieben.

Auch sie müssen sich kritische Fragen gefallen lassen: Beide Unternehmen zahlten in den vergangenen zehn Jahren rund 17 Millionen Dollar an US-Politiker - und sicherten sich damit offenbar eine unkritische Behandlung ihrer Geschäftspraktiken.

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