Langzeitstudie: Deutschland wird radikaler

Berlin · Wachsende Islamfeindlichkeit, Hass gegen Ausländer und eine zunehmende Gewaltbereitschaft drohen die Gesellschaft immer stärker zu polarisieren. Das belegt eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Leipzig, die dieser Tage in Berlin vorgestellt wurde.

Wie zeigt sich die Polarisierung?
Es gebe zwar keine Zunahme rechtsextremer Einstellungen, aber im Vergleich zu einer Untersuchung vor zwei Jahren befürworteten rechtsextrem eingestellte Gruppen stärker Gewalt als Mittel der Interessendurchsetzung, erklärte Studienleiter Oliver Decker. Gleichzeitig lasse sich beobachten, dass in demokratischen Milieus Gewalt deutlich stärker abgelehnt werde als noch 2014. "Wir haben Menschen, die sich aktiv um Flüchtlinge bemühen, und es gibt Menschen, die Flüchtlinge aktiv ablehnen", so Decker. Damit habe eine "deutliche Polarisierung und Radikalisierung stattgefunden".

Welche extremen Einstellungen gibt es konkret?
Laut Studie meinen inzwischen 50 Prozent der Deutschen, sich insbesondere durch die Muslime zuweilen "wie ein Fremder im eigenen Land" zu fühlen. 2014 waren es noch sieben Prozent weniger gewesen. Rund 41 Prozent der Befragten wünschen sich, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte. Ebenfalls jeder zweite Befragte ist der Meinung, dass Sinti und Roma aus den Innenstädten verbannt werden müssen. Jeder Dritte geht davon aus, dass Ausländer nur nach Deutschland kommen, um den Sozialstaat zu schröpfen. Und rund 40 Prozent empfinden es als ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen.

Welche Rolle spielt bei dem Thema die AfD?
Was die NPD vordem nicht geschafft hat, nämlich extreme Einstellungen salonfähig zu machen und in Wählerstimmen umzumünzen, gelingt laut Studie nun der AfD. Mehr als jeder Dritte der rechtsextrem Eingestellten wählt AfD. 2014 waren es nur gut sechs Prozent gewesen. "Die meisten AfD-Wähler teilen eine menschenfeindliche Einstellung", meinte Studienmitautor Elmar Brähler. Auch in der Gruppe der Nichtwähler seien diese Vorurteile verbreitet. Das Potenzial für rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien sei daher "noch größer als es die Wahlergebnisse bislang zeigen".

Gibt es Ost-West-Unterschiede?
Nur bei den Jüngeren. So gelten 23,7 Prozent der 14- bis 30-Jährigen im Osten als ausländerfeindlich, im Westen dagegen nur 13,7 Prozent. Studienleiter Decker hält das für gefährlich. Wer jetzt rechtsextreme Ansichten habe, werde diese noch einige Jahre vertreten. Zudem sei ein großer Teil der Jüngeren gewaltbereit.

Woher rühren die extremen Einstellungen?
In den entsprechenden Milieus hat das Vertrauen in gesellschaftspolitische Einrichtungen wie Polizei, Parteien oder Presse offenbar deutlich nachgelassen.

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