"Lasst die Iraker endlich in Ruhe"

TRIER. 53 irakische Staatsbürger sind zurzeit in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in der Trierer Dasbachstraße untergebracht. Viele sind vor dem drohenden Krieg geflohen; ihr Leben schwankt täglich zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

Ein Gespräch mit Samira (Name geändert) ist zurzeit kompliziert. Im 5-Minuten-Rhythmus springt sie auf, spricht mit anderen Irakern aus der Dasbachstraße oder fingert nervös am Handy ihrer Tochter Mona herum - der einzigen Verbindung zur Welt außerhalb der Aufnahmeeinrichtung. Aus ihren kehligen Lauten in arabischer Sprache klingen immer wieder Ortsnamen heraus: Basra, Mosul, Bagdad. In anderen, friedlicheren Zeiten könnte man annehmen, es gehe um die Ergebnisse der irakischen Fußballliga. Aber Samiras Miene spricht Bände: Hier ist davon die Rede, wo Bomben eingeschlagen sind, wo Menschen um ihr Leben kämpfen. Wieder von Null anfangen

Noch vor zehn Tagen war Samira in Bagdad. Die 50-Jährige arbeitete im Finanzministerium. Als der Krieg näher und näher rückte, machte sie sich mit ihrer Tochter auf den Weg. Alles, was sie besaß, hat sie verkauft: Fünf Tage vor Kriegsbeginn aus einem Land heraus zu kommen, ist teuer - und in ein Land hinein zu kommen, das die Einreise von Flüchtlingen zu vermeiden sucht, ist noch teurer. "Viele wollten weg, aber die meisten hatten keine Chance", erinnert sie sich. Man merkt ihr an, dass sie zu den gebildeten Schichten im Land gehörte. Ihre Tochter war Studentin - nun haben sie keine Existenz mehr, nur noch ihr Leben. Und dennoch ist es für sie keine Frage: Sie würde zurück gehen in ihre Heimat, "wenn wieder Recht und Ordnung herrscht". Sahra, die mit ihrer Tochter Nadja und ihrem Cousin Tarik die lebhafte Diskussionsrunde im Aufenthaltsraum der Aufnahmeeinrichtung komplettiert, will dagegen in Deutschland bleiben. "Wir müssten im Irak wieder von Null anfangen, und das in einer furchtbaren Situation", sagt sie. In den letzten Jahren hätten "Elend, Verbrechen und Armut" immer mehr zugenommen in dem vormals reichen Land. Aus ihrer Heimatstadt Mosul werden stündlich neue Bombardements gemeldet. Einen Kontakt nach Hause gibt es längst nicht mehr, "da sind alle geflüchtet", vermutet Tarik. Aber Genaueres weiß niemand, und begierig wird jeder befragt, der in den letzten Stunden Gelegenheit hatte, das Geschehen im Fernsehen zu verfolgen, möglichst bei Al-Dschasira, dem arabischen Sender, dem die meisten hier vertrauen. Längst nicht alle verfügen über ein Fernsehgerät. "Wenigstens eine Stunde am Tag würde ich gerne Nachrichten sehen", wünscht sich Samira. Einrichtungsleiter Wolfgang Bauer genehmigt in jedem Zimmer einen Fernseher, "aber wir können natürlich nicht jedem einen zur Verfügung stellen". So bleibt die Hoffnung auf gespendete Geräte, damit die Menschen wenigstens verfolgen können, was bei ihren Angehörigen passiert. Sicher, zumindest im Moment

Zumindest sind die Asylbegehrenden im Moment sicher. Abschiebungen in den Irak werden schon seit längerem nicht vollzogen, zurzeit hat das zuständige Bundesamt für Migranten und Flüchtlinge "die Entscheidungstätigkeit ausgesetzt". Eine "Prognose hinsichtlich der Rückkehrgefährdung" sei im Moment nicht möglich, erklärt Amtssprecher Roland Dorfner. Das kann sich allerdings nach Kriegsende zügig ändern. Die schlimme Vergangenheit und die unsichere Zukunft: Beides liegt wie ein Schatten auf den Flüchtlingen, und es scheint kein Zufall, dass sie fast alle schwarz gekleidet sind an diesem frühlingswarmen Tag in Trier-Nord. Es wird engagiert diskutiert, fast wie am Stammtisch, und unterschiedliche Meinungen prallen teils heftig aufeinander. In einem Punkt aber herrscht Einigkeit: Die Amerikaner sollten "das irakische Volk endlich in Ruhe lassen", ruft Tarik aus, "lasst Irak den Irakern", fügt Samira hinzu. Demütigung für das ganze Volk

Das sagen Menschen, die letztlich alle Opfer von Saddam Hussein sind, und die für den Diktator wenig übrig haben. Aber nicht ihm geben sie die Schuld an der verheerenden Situation. Die US-Forderung, er habe sein Land zu verlassen, empfinden sie - unabhängig von politischen Einstellungen - als Demütigung für das irakische Volk. Hätten die Amerikaner je mit Menschen wie Sahra, Samira und Tarik geredet, würden sie sich jetzt nicht wundern, warum die Bevölkerung bei ihrem Vormarsch nicht am Straßenrand steht und mit Sternenbannern winkt. Wer kann einen Fernseher für die Flüchtlinge zur Verfügung stellen? Kontakt über die ökumenische Beratungsstelle für Flüchtlinge, Tel. 0651/9910600.

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