Leben für totgesagten Börsengang

Nach jahrelangem Gezerre von Politik und Wirtschaft hat der geplante Börsengang der Deutschen Bahn eine entscheidende Hürde genommen. SPD-Chef Kurt Beck führte in der Nacht zum Montag in seiner Partei einen Kompromiss zur Teilprivatisierung herbei.

Berlin. Auch die ganz alte Schlacht wurde beim vierstündigen Treffen von SPD-Chef Kurt Beck mit den Landes- und Bezirksvorsitzenden in der Nacht zum Montag noch einmal geschlagen: Ja oder Nein zur Teilprivatisierung der Bahn? Die Vertreter von Schleswig-Holstein, Bayern oder Baden-Württemberg sprachen sich strikt gegen jede Form der Privatisierung aus, die Genossen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachen vertraten eher den Standpunkt, "man muss das machen", so ein Teilnehmer. Becks Resümee fiel nach dem Ende der Sitzung indes so aus: "Alles bestens". Dass dem wirklich so ist, muss bezweifelt werden.Vorstand und Parteirat haben das letzte Wort

Es sei "unsinnig" zu debattieren, ob und wie sich ein Parteiflügel durchgesetzt habe, bilanzierte Beck weiter. Zuletzt hatte er noch dafür geworben, dass neben dem Schienennetz auch der Nahverkehr in Staatshand bleibt. Nun einigten sich die Parteigremien "einmütig" darauf, dass neben dem Güter- der gesamte Personenverkehr für private Investoren geöffnet wird, allerdings nur mit einem Anteil von maximal 24,9 Prozent. Über den zu erwartenden Erlös wollte Beck nicht spekulieren, sprach aber von "einer nicht unbeachtlichen Milliardensumme". SPD-Präsidium und die parteiinterne Arbeitsgruppe stimmten dem Kompromiss gestern einstimmig zu, das letzte Wort haben nun Vorstand und Parteirat am nächsten Montag. Anhänger der Privatisierung wie die CDU-Spitze sahen den Vorschlag gestern als gelungenen Einstieg in die seit Monaten heftig umstrittene Teilprivatisierung der Bahn.Kaster sieht kein sachliches Argument

Doch nicht jeder Kritiker ist verstummt: Einige SPD-Linke, die Beck mit seinem Vorschlag eigentlich umstimmen wollte, lehnten die Pläne prompt ab. Und auch in der Union regte sich massiver Widerstand: Laut dem parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bernhard Kaster, gibt es für den SPD-Vorschlag "kein sachliches Argument." Beck habe lediglich den "innerparteilichen Frieden im Blick und nicht die wirtschafts- und verkehrspolitische Vernunft", so Kaster zu unserer Zeitung. Der neue SPD-Vorschlag dürfe daher nicht die Position der Großen Koalition werden, forderte der CDU-Politiker. Entscheidend ist Ende des Monats das Treffen des Koalitionsausschusses, der sich mit dem heiklen Thema beschäftigen wird. Bis dahin dürfte es noch viele öffentliche Wortmeldungen geben. Eines zeichnet sich jedenfalls ab: Der SPD-Vorschlag für eine abgespeckte Bahnprivatisierung dürfte dem totgesagten Börsengang des letzten großen Staatskonzerns wieder Leben einhauchen. Meinung Und der Bürger? Was die SPD gestern zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn beschlossen hat, ist noch lange nicht der Vorschlag der Regierung. Daran muss man erinnern. Die Große Koalition wird sich noch kräftig bemühen müssen, um zu einer gemeinsamen Haltung in der Frage zu kommen. Darin liegt aber zugleich das Problem von SPD-Chef Kurt Beck: Durch die gestrige Festlegung hat er sich und seine Partei bei den anstehenden Verhandlungen mit der Union im Koalitionsausschuss sämtlicher Bewegungsspielräume beraubt. Niemand in der Union wird Beck ernsthaft freudig die Hand reichen, damit der Rheinland-Pfälzer von den linken Privatisierungsskeptikern in seiner Partei endlich in Ruhe gelassen wird. Auch in der Sache sind die Interessen in Wahrheit gegensätzlich: Die Union sieht den SPD-Vorschlag nur als Einstieg in die Teilprivatisierung an, während viele Sozialdemokraten damit zugleich das Ende verbinden. Die ersten Reaktionen zeigen überdies: Selbst das Kompromissmodell bleibt zwischen den SPD-Parteiflügeln heftig umstritten - und auch in der CDU gibt es viele Skeptiker. Streit ist also programmiert. Die weitere Zukunft der Bahn dürfte bei der nächsten Bundestagswahl zum Wahlkampfthema werden. nachrichten.red@volksfreund.de

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