Lebende Ziele für Terroristen: Angriff auf französische Soldaten - Sechs Menschen verletzt

Paris · Ein Mann ist in einem Pariser Vorort mit einem Auto in eine Soldatengruppe gefahren und hat sechs Militärs verletzt. Der Angriff schürt die Diskussionen um den Einsatz der Armee im Inneren.

Es war kurz vor acht am Mittwochmorgen, als sechs Soldaten ihre Unterkunft an der Place de Verdun im schicken Pariser Vorort Levallois-Perret verließen. Ein schwarzer BMW hatte vor dem Gebäude auf diesen Moment gewartet: er raste auf die Militärs zu und verletzte sechs von ihnen, zwei davon schwer. "Das Auto fuhr langsam und hat dann plötzlich beschleunigt", schilderte Innenminister Gérard Collomb nach einem Besuch bei den verletzten Soldaten die Ereignisse. "Das war eine geplante Handlung und kein Unfall". Das Wort "Anschlag" nahm der frühere Bürgermeister von Lyon nicht in den Mund, doch seit die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hat war klar, dass es sich um ein Attentat handelt. Sechs Stunden nach dem Angriff stoppten Polizisten auf der Autobahn A16 zwischen Paris und Boulogne-sur-Mer einen Verdächtigen, der im Tatauto unterwegs war, und verletzten ihn mit fünf Schüssen schwer.

Der Täter hatte sich bewusst die Operation Sentinelle als Ziel gewählt, jenen Einsatz von Soldaten im Innern zum Schutz von Touristenattraktionen, Bahnhöfen und Museen. In Levallois-Perret waren die Soldaten in einem ehemaligen Sozialwohnungsbau im Zentrum untergebracht. Die Kleinstadt ist gut bewacht, denn dort ist sowohl der Sitz des Inlandsgeheimdienstes DGSI als auch der Anti-Terror-Einheit SDAT, die beide nur wenige hundert Meter vom Angriffsort entfernt sind. 70 Videokameras zeichnen alles auf, was in den Straßen der Kleinstadt passiert. Sie erfassten auch die Nummer des schwarzen BMW, mit dem der Fahrer die Soldaten des 35. Infanterieregiments aus Belfort verletzte, die gerade ihren Dienst antreten wollten. "Ich hörte ein dumpfes Geräusch und als ich auf meine Terrasse ging, sah ich Soldaten durcheinander laufen", schilderte eine Nachbarin im Fernsehsender BFMTV die Attacke.

"Lebende Ziele des Islamischen Staates"

Es war bereits der sechste Angriff auf Soldaten der Operation Sentinelle, die mit ihren Uniformen gut sichtbar in Dreiergruppen durch Paris und andere Städte patrouillieren. "Diese Soldaten sind lebende Ziele des so genannten Islamischen Staates", warnte der Terrorexperte und Ex-Abgeordnete Sebastien Pietrasanta. Der spektakulärste Angriff ereignete sich im Februar im Louvre, als ein Mann mit einer Machete auf die Soldaten losging und "Allahu Akbar" rief, bevor er niedergeschossen wurde. Zuletzt hatte ein psychisch gestörter junger Mann am Wochenende versucht, Militärs am Eiffelturm mit einem Messer anzugreifen.

7000 Soldaten der Operation Sentinelle sind in ganz Frankreich im Einsatz. Präsident François Hollande hatte die Mission nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt im Januar 2015 ins Leben gerufen. Sein Nachfolger Emmanuel Macron kündigte für September Vorschläge an, wie die Mission, die 77 Prozent der Franzosen gut heißen, dauerhaft weitergeführt werden kann. "Sentinelle bleibt so lange bestehen, wie sie für den Schutz der Franzosen nötig ist", versicherte Verteidigungsministerin Florence Parly noch im Juli. "Macron sollte den Mut haben, Sentinelle zu reformieren", forderte dagegen der pensionierte General Vincent Desportes. "Die Soldaten sollten lieber im Sahel eingesetzt werden als in Levallois-Perret. Nichts beweist, dass die Operation Sentinelle zur Sicherheit der Franzosen beiträgt."

Der Präsident will am 1. November auch den seit mehr als zwei Jahren geltenden Ausnahmezustand aufheben und durch ein Anti-Terror-Gesetz ersetzen. Der Text, der die Maßnahmen des Ausnahmezustands in leicht abgeschwächter Form festschreibt, wird von Menschenrechtsorganisationen wegen seiner "gefährlichen Logik des Verdachts" kritisiert. Der Gesetzentwurf sieht Hausarrest von bis zu drei Monaten und Durchsuchungen bei allen vor, "die eine besonders schwere Bedrohung für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung" sind. Mit ihren Maßnahmen versucht die Regierung, nicht nur die Franzosen zu beruhigen, sondern auch die Touristen, die nach den Anschlägen von Paris und Nizza mit mehr als 200 Toten nicht mehr so zahlreich kamen. Die Tendenz kehrte sich erst in diesem Jahr um: am Dienstag vermeldete die Statistikbehörde INSEE einen Anstieg der ausländischen Besucher um zehn Prozentpunkte im zweiten Quartal 2017 gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Kommentar


Soldaten als Placebo

7000 Soldaten in den Straßen von Paris und anderen Städten können keine Anschläge verhindern. Statt dessen ziehen die Militärs, die in Frankreich zum Straßenbild gehören, nur Attentäter an. Die Auto-Attacke von Levallois-Perret ist das beste Beispiel dafür. Beenden will den Einsatz der Armee im Inneren, den drei Viertel der Franzosen unterstützen, aber keiner. Denn die Präsenz der Soldaten erfüllt vor allem eine psychologische Aufgabe: sie beruhigt. Sie ist eine Art Placebo, das die Regierung ihren Bürgern seit zweieinhalb Jahren verabreicht. Das eigentliche Medikament gegen den Terror wirkt dagegen im Verborgenen. Es sind die Geheimdienste, deren Versagen die Anschläge von Paris an den Tag brachten. Eine Umorganisation und mehr Koordination sind gefragt. Denn neue Attentate können nur von den "Schlapphüten" verhindert werden und nicht von Uniformierten unter dem Eiffelturm.

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