Leere Drohungen

Seit genau einem Jahr ist nichts mehr so in der SPD, wie es einmal war. Am 14. März 2003 hatte der Kanzler die "Agenda 2010” verkündet und damit das Ende der alten Malocher- und Verteiler-Partei eingeleitet.

Ein Großteil der Genossen hat sich noch immer nicht an diesen Kurswechsel gewöhnen können, zumal er die programmatische Verwandtschaft zur Union nicht leugnen kann. Für den Arbeitnehmerflügel hat die plötzliche Kleinschreibung des ersten Buchstabens im Kürzel (sPD) die gleiche Bedeutung, als wäre der Papst zum Protestantismus konvertiert. Sie wollen es einfach nicht wahr haben, und manche der bitter Enttäuschten fantasieren deshalb von einer neuen Linkspartei. Indes, schon der Versuch, den Verdruss zu sublimieren, also in positive Bahnen zu lenken, ist zum Scheitern verurteilt. Wer genauer hinschaut und das politische Gewicht der potenziellen Abweichler taxiert, wird die Abspaltungstendenzen als das begreifen, was sie sind: leere Drohungen. Ein Organismus kann ohne Kopf nicht leben, und noch hat etwa eine Figur wie Oskar Lafontaine nicht erkennen lassen, dass sie für solcherart Abenteuer zur Verfügung steht. Auf jeden Fall hat der designierte Parteivorsitzende Franz Müntefering auf dem Afa-Kongress in Erfurt spüren können, dass die Basis noch immer auf den Zumutungen der Reformagenda herum kaut und weiterhin zögert, sie zu schlucken. Übersetzt heißt das: Die Überzeugungsversuche der Chefetage sind weitgehend fehlgeschlagen. Die Kraft der Argumente reicht offenbar nicht aus. Und solange der wesentliche Makel der Agenda - die soziale Schlagseite - nicht beseitigt ist, solange das Empfinden sozialer Ungerechtigkeit in der Bevölkerung vorherrscht, wird der Bedeutungsverlust der SPD anhalten. nachrichten.red@volksfreund.de

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