"Letzlich geht es um das Wohl der Gesellschaft"

Heute vor 120 Jahren wurde in Trier Oswald von Nell-Breuning geboren, Jesuitenpater, Wirtschaftswissenschaftler, Sozialphilosoph und Theologe. Der TV zeigt in einem fiktiven Interview mit dem großen Trierer knapp 20 Jahre nach seinem Tod auf, wie aktuell seine Gedanken heute sind.

Trier. Der heute vor 120 Jahren in Trier geborene Oswald von Nell-Breuning gilt als Kopf der "katholischen Soziallehre". Nell-Breuning plädierte für eine soziale Marktwirtschaft mit einem ausgewogenen Verhältnis von freiem Markt und sozialer Verantwortung. Ungebremste Wirtschaftsmacht lehnte er ebenso ab wie kollektivistische Zwangsbeglückung.

Schon 1931 entwickelte er eine bahnbrechende päpstliche Sozialenzyklika mit, bei den Nazis wurde er verfolgt. In den 50ern war er Berater der Bundesregierung, wurde aber in den Wirtschaftswunder-Jahren auch oft als lästiger Mahner empfunden, weil er stets die Sozialbindung des Eigentums betonte. Die 68er wiederum betrachteten ihn als naiven Marktgläubigen, weil er sozialistischen Wirtschaftsmodellen zutiefst skeptisch gegenüberstand. Die Markt-Radikalen der 90er ließen ihn mit seinen moralischen Ansprüchen, die er auch gegenüber Börsen-Geschäften erhob, fast in Vergessenheit geraten.

Spätestens seit den Weltmarkt-Krisen der vergangenen Jahre feiert Nell-Breuning eine ungeahnte Renaissance. Bei der Suche nach einem zukunftsträchtigen Wirtschafts-Modell zwischen Turbokapitalismus und Staatsökonomie ist er, knapp 20 Jahre nach seinem Tod, wieder ein gefragter Ratgeber, seine Schriften werden neu aufgelegt. Die Stadt Trier hat einen Preis nach ihrem Ehrenbürger benannt, sein Name ziert bundesweit Schulen, Kollegs und Bildungshäuser.

Wie aktuell Nell-Breunings Gedanken sind, dokumentiert ein fiktives Interview, das TV-Redakteur Dieter Lintz mit dem Geburtstagskind führte. Die Antworten bestehen im Wesentlichen aus Originalzitaten.

Herr von Nell-Breuning, würden Sie sich als Visionär einstufen?

Nell-Breuning: Wenn Sie jemand als Visionär betrachten, der seine Doktorarbeit schon 1928 zum Thema Börsenmoral und Gier geschrieben hat …

Was sagen Sie denn zur Geldmarktkrise und den Bankencrashs der letzten Jahre?

Nell-Breuning: Wirtschaftliche Betätigung zum Zweck des Gewinnstrebens ist ja nicht naturwidrig. Etwas anderes ist es mit der reinen Profitgier. Verabsolutiert ist sie maß- und zügellos, asozial und egoistisch. Sie kennt keine Grenze und geht darum ins Uferlose.

Und wie unterscheidet sich der Geldmarkt-Spekulant vom eigentlichen Unternehmer?

Nell-Breuning: Dem wirklichen Unternehmer geht es in Wahrheit doch nicht - oder jedenfalls nicht allein - um den abstrakten Gewinn. Es geht ihm um Gestaltung, um Macht. Er hat Ideen und will sie verwirklichen. Echtes Unternehmertum ist schöpferisch und nützt so auch der Gesellschaft.

Und wie erklären Sie sich die zunehmende Tendenz zur Abzockerei?

Nell-Breuning: Ein Aufbau privater Übermacht entzieht dem Mindestmaß an Marktgleichgewicht den Boden und führt zur Verwahrlosung der Marktwirtschaft.

Aber ist mehr freier Wettbewerb und maximale Entscheidungsfreiheit für die Marktteilnehmer nicht die Voraussetzung für Wohlstand und Wachstum?

Nell-Breuning: Mehr Wettbewerb? Solche Wirtschaftsphilosophie aus einer Utopie heraus ist ungeheuer gefährlich. Die Abstimmung am Markt vollzieht sich nicht nach Köpfen, sondern nach Kaufkraft. Das ist weniger demokratisch als das preußische Dreiklassenwahlrecht.

Aber ist es nicht genau der Sinn der Marktwirtschaft, dass die Marktmacht entscheidet?

Nell-Breuning: Der Sinn der Marktwirtschaft besteht darin, nicht nur die Marktteilnehmer mit Kaufkraft zu versehen, sondern alle lebenden Menschen, und zwar aus keinem anderen Grund, als weil sie leben.

Das klingt aber jetzt ein bisschen nach spinnertem Gutmenschentum …

Nell-Breuning: Nein, es geht letztlich um das Wohl der Gesellschaft. Soll es dem Ganzen wohlergehen, dann muss es all seinen Gliedern wohlergehen. Einzelwohl und Gemeinwohl sind unlöslich miteinander verstrickt.

Das sagen Sie mal all den Steuersündern, die stolz darauf sind, den Staat und die Gesellschaft zu betrügen.

Nell-Breuning: Das Schlimme ist ja, dass die Steuerhinterzieher und Subventionserschleicher in vielen Fällen sich bis zum Ende ihres irdischen Daseins ungestört des Erfolges ihres gemeinwohlschädigenden Treibens erfreuen können. Und die anderen Steuerpflichtigen müssen den Ausfall noch decken.

Aber haben Sie kein Verständnis, dass die Bürger unter der Steuerlast stöhnen?

Nell-Breuning: Wer Wohlfahrtsstaat sagt, sagt notwendigerweise auch Steuerstaat.

Was kann man aus Ihrer Sicht gegen die Arbeitslosigkeit tun?

Nell-Breuning: Wirksam kann man sie nur bekämpfen, wenn diejenigen, die Arbeit haben, bereit sind, etwas davon abzugeben - und auch die zugehörigen Einkünfte.

Mancher Politiker möchte Arbeit schaffen, indem er Menschen zum Schneeschippen abordnet …

Nell-Breuning: Arbeit nur um der Beschäftigung willen wäre reiner Selbstzweck. Zur Arbeit gehört ein Sinn oder ein Ziel, um dessentwillen man arbeitet. Sonst ist es keine Arbeit.

Wir machen uns zunehmend Sorgen um die Renten. Das System scheint nicht gerade zukunftssicher …

Nell-Breuning: Wenn die Kinderlosen und Kinderarmen ihre Altersversorgung auf anderer Leute Kinder aufbauen, müssen sie für einen entsprechenden Familienlastenausgleich sorgen. Da herrscht ein großer Irrtum: Die Rentner empfangen ja nicht ihre früheren Beiträge zurück. Durch ihre Beiträge haben sie nicht ihre Rente erdient, sondern erstattet, was die vorherige Generation ihnen gegeben hat. Damit sind sie quitt. Die eigene Rente müssen sie sich durch Aufzucht des Nachwuchses verdienen.

Fällt Ihnen zum aktuellen Diskussionsstand der Bundesregierung in diesen elementaren Angelegenheiten etwas ein?

Nell-Breuning: Der Mensch, der ins Dasein tritt, besitzt zwar Vernunft schon als Anlage, verfügt aber darüber keineswegs als anwendbare Fähigkeit - dazu muss er sich erst entwickeln.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort