Liberale liebäugeln mit Steuersenkungen

Die FDP zieht mit der Forderung nach einer umfassenden Steuerreform zur Entlastung der Mittelschicht in den Wahlkampf. Auf dem Parteitag in Hannover zeigten die Liberalen große Geschlossenheit. Das "Deutschlandprogramm" wurde einstimmig verabschiedet. Zuvor war die Führungsriege mit großer Zustimmung bestätigt worden. Nur um Opel gab es Streit.

Hannover. In seinem Schlusswort sagte Parteichef Guido Westerwelle am Sonntag, die FDP trete für ein bürgerliches Bündnis mit der Union an. Vorstöße der SPD hinsichtlich einer Ampelkoalition nannte er "irreal", schloss ein solches Bündnis jedoch erneut nicht definitiv aus. Der frisch gewählte Bundesvorstand beschloss in seiner ersten Sitzung, eine förmliche Koalitionsaussage auf einem Parteitag in Potsdam eine Woche vor der Wahl zu formulieren. In ihrem Wahlprogramm fordert die FDP, die Steuersätze drastisch zu senken und einen Drei-Stufen-Tarif von 10, 25 und 35 Prozent einzuführen. Für jedes Haushaltsmitglied soll es einen Grundfreibetrag von 8004 Euro geben. Das Kindergeld soll auf 200 Euro angehoben werden.

Die Unternehmenssteuern wollen die Liberalen ebenfalls verrringern und die Erhebung der Erbschaftssteuer den Ländern überlassen. Die Liberalen schätzen die jährlichen Kosten selbst auf 30 bis 35 Milliarden Euro, glauben aber, dass ein Großteil davon durch eine Belebung der Wirtschaft wieder hereinkommt.

Zugleich fordern sie ein Neuverschuldungsverbot. SPD-Fraktionschef Peter Struck nannte die Pläne angesichts der ohnehin erwarteten Steuerausfälle "völlig haltlos". FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, der mit 86,7 Prozent überraschend deutlich wiedergewählt wurde, hielt dem entgegen, Steuersenkungen seien das beste Rezept, um die Wirtschaft wieder flott zu machen.

Die bisherigen Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Wohngeld will die FDP durch ein Bürgergeld in Höhe von 662 Euro pro Erwachsenen ersetzen. Es soll als eine Art negative Einkommenssteuer von den Finanzämtern ausgezahlt und bei steigendem Einkommen abgeschmolzen werden. Die Mehrheit der Delegierten stimmte für eine Änderung des ursprünglichen Programmentwurfs und setzte die Forderung nach kostenloser Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr durch. Als Lehre aus der Finanzkrise warnt die FDP in einem weiteren Beschluss vor einem Austrocknen der Finanzmärkte durch eine "überbordende Kontrolle". Nach kurzer Debatte lehnten die Delegierten die von der Bundesregierung geplante Sperrung von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten als Eingriff in die Informationsfreiheit ab. Heftigere Kontroversen gab es um einen Antrag von Parteivize Andreas Pinkwart, jegliche Staatsbeteiligung an Opel abzulehnen, auch das von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als Zwischenlösung erwogene staatliche Treuhandmodell. "Wir sind nicht aus der Kohlesubventionierung ausgestiegen, um jetzt in die Subventionierung der Autoindustrie einzusteigen", sagte Pinkwart.

Der Politiker, der auch stellvertretender Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens ist, in dem das Opel-Werk Bochum liegt, erlitt mit seinem Antrag in einer Vorstandssitzung vor Beginn des Parteitages zunächst eine Abstimmungsniederlage, brachte ihn aber trotzdem ein. FDP-Politiker aus anderen Opel-Ländern, wie Jörg-Uwe Hahn aus Hessen, empörten sich über den nicht mit ihnen abgestimmten Vorstoß. Um eine offene Konfrontation zu vermeiden, wurde Pinkwarts Papier um abschwächende Formulierungen ergänzt und dann mehrheitlich beschlossen. Nun wird eine Treuhandlösung zwar von der FDP weiterhin abgelehnt, zugleich aber eine staatliche Bürgschaft oder Garantie für den Fall akzeptiert, dass vorher eine verbindliche Erklärung eines Investors zur Übernahme von Opel vorliegt.

Hintergrund

Eckpunkte des FDP-Programms: Steuern: Ein Drei-Stufen-Tarif von zehn (bis 20 000 Euro Einkommen), 25 (20 000 bis 50 000 Euro) und 35 Prozent (ab 50 000 Euro) soll das gesamte Steuersystem einfacher, transparenter und gerechter machen. Für jeden Erwachsenen und jedes Kind soll es einen Freibetrag von 8004 Euro geben. Wirtschaft: Abschaffung der Gewerbesteuer. Schaffen von Modellregionen zum Abbau von Strukturschwächen. Bündnisse für Arbeit sollen Tarifverträge ersetzen, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte das wollen. Der Kündigungsschutz soll erst ab Betrieben mit 20 oder mehr Beschäftigten gelten. Soziales: Ein Bürgergeld soll alle Sozialleistungen aus Steuergeldern bündeln. Es gilt als Mindesteinkommen. Rente mit 60 mit Zu- und Abschlägen bei längerer oder kürzerer Arbeit. Auflösung der Bundesagentur für Arbeit. Familie: Erhöhung des Kindergelds auf 200 Euro pro Kind. Betreuungsgeld für häusliche Erziehung, wie es die Union will, wird abgelehnt. Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften bei Steuern, Adoptionen und im Beamtenrecht.

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