Linke rechnet mit sich selbst ab

Im wochenlangen Machtkampf an der Spitze der Linkspartei gerät Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch immer stärker unter Druck. Fraktionschef Gregor Gysi übte am Montag ungewohnt offen Kritik an dem umstrittenen Parteimanager.

Berlin. Die wichtigste Person war gar nicht angereist. Nach seiner Krebsoperation vor zwei Monaten stand bei Oskar Lafontaine gestern eine weitere ärztliche Nachuntersuchung auf dem Terminkalender. Geplant war die Sache ganz anders. Die Linksfraktion im Bundestag hatte weder Mühen noch Kosten gescheut und für ihre Jahresauftakt-Klausur die Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz gemietet. Sie sollte den würdigen Rahmen für eine persönliche Erklärung des Saarländers bieten, ob er auf dem Bundesparteitag im Mai noch einmal für den Parteivorsitz kandidiert oder nicht. Eine definitive Zusage für eine solche Offenbarung gestern in der Hauptstadt hatte es dem Vernehmen nach aber nie von Lafontaine gegeben.

Die ursprünglich geplante Harmonieveranstaltung geriet gestern zum Scherbengericht über den zerrütteten Zustand der Partei. Vor allem Gregor Gysi, der Fraktionschef, nahm kein Blatt vor den Mund. Der gewandte Rhetoriker klagte lautstark über ein "Klima der Denunziation", das er ganz "unerträglich" finde.

Lafontaine sauer wegen Indiskretion



Der Auslöser für Gysis Ausbruch geht auf das wohl irreparabel beschädigte Verhältnis zwischen Lafontaine und seinem Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zurück. Dem Vernehmen nach soll Lafontaine intern klargestellt haben, dass er nicht länger mit Bartsch zusammenarbeiten wolle. Der Saarländer verübelt dem Ostdeutschen vor allem eine Indiskretion, mit der sich Bartsch im "Spiegel" zitieren ließ, nachdem der Saarländer Anfang Oktober 2009 seinen Verzicht auf den Co-Fraktionsvorsitz der Linken bekanntgegeben hatte. Bartsch stellte diese Entscheidung so dar, als sei sie intern "schon Anfang des Jahres" klar gewesen. Fortan lastete auf Lafontaine der Vorwurf der Wählertäuschung, was westliche Landesverbände offen den Rücktritt von Bartsch fordern ließ. Dagegen wiederum machten die ostdeutschen Landesverbände in einer öffentlichen Erklärung mobil.

Hinter dem Konflikt steckt ein fundamentaler Richtungsstreit über den künftigen Kurs der Partei. Im Westen gilt eine Regierungsbeteiligung der Linken als Verrat an der reinen Lehre, derweil den pragmatisch gestimmten Ost-Genossen die Radikalität ihrer Parteifreunde jenseits der Elbe ein Graus ist.

Für Dietmar Bartsch ist das politische Schicksal offenbar besiegelt. In beispielloser Deutlichkeit warf Gysi ihm vor, "nicht loyal" gegenüber Lafontaine gewesen zu sein. Hier müsse es eine Lösung geben, die auch "weh" tun könne. Eine erneute Kandidatur Bartschs als Bundesgeschäftsführer ist damit in weite Ferne gerückt. Da hilft es auch nicht, dass Bartsch gestern noch einmal in mehreren Interviews seine unverbrüchliche Treue zu Lafontaine herausstrich.

Bei Lafontaine hofft Gysi indes, dass der Saarländer "nicht mehr" allzu lange für eine Entscheidung pro oder kontra Parteivorsitz braucht. Eingeweihte wollen wissen, dass es Mitte Februar so weit sein könnte. Bis dahin stehen noch ein paar entscheidende ärztliche Nachsorge-Checks aus.

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