„Männer weinen eher innen, oder?“

TRIER. Für jedes Kind ist es ein einschneidendes Erlebnis: Jemand, den es lieb hat, stirbt – vielleicht zunächst „nur“ ein Haustier, aber irgendwann dann auch die Oma, der Paten-Onkel oder gar Mutter oder Vater. Darum sprechen auch die Lehrer an den Grundschulen mit ihren kleinen Schützlingen über Tod und Trauer.

„Als Robert aus der Schule kommt, sieht er, dass Mama geweint hat. Robert will zu Oma rennen, das tut er immer, wenn er aus der Schule kommt. Aber Mama und Otto, sein Bruder, halten ihn zurück.“ Mit ruhiger Stimme liest Lehrerin Sabine Rummel ihrer vierten Klasse an der Egbert-Grundschule eine Geschichte vor. Die steht im Lesebuch unter dem Kapitel „Leiden und Sterben“ und heißt „Großmama stirbt“.

Zu Beginn ist es noch unruhig im Klassenzimmer, die Jungs albern herum und begrüßen mit großem Hallo einen Zuspätgekommenen. Währenddessen geht die Geschichte aber weiter. Robert hört, dass seine Großmama wahrscheinlich sterben muss, weil sie einen Schlaganfall hatte. Er sieht, wie seine Mutter weint, wie sein Bruder nicht weinen kann, und als er selbst weinen muss, hört er seine Tante Anna mahnen, er solle tapfer sein. Doch die Mutter sagt: „Lass uns doch weinen, Anna. Es tut gut.“

Als Sabine Rummel die letzten Zeilen liest, ist es ganz still im Klassenzimmer. Ein paar von den Mädchen haben Tränen in den Augen, manche rutschen unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her. Auch die Jungs, die sich eben noch über den weinenden Robert lustig gemacht haben, sind ruhig geworden. Die Lehrerin stellt einige Fragen zur Geschichte. Zuerst melden sich die Schüler nur zaghaft. Doch dann fragt Sabine Rummel: „Welche Erfahrungen habt Ihr denn schon gemacht?“ Fast alle Hände schnellen in die Höhe.

„Mein Opa ist auch gestorben“, sagt ein Mädchen ganz leise, „Die Mutter von einer Freundin ist bei einem Autounfall gestorben“, erzählt ein Junge, „Als ich ganz klein war, ist mein Opa im Krankenhaus gestorben“, „Ich habe meinen Opa gar nicht kennen gelernt“ „Wenn man trauert – wie kann man sich trösten?“ Auf Sabine Rummels Frage haben die Kinder Antworten: „Sich umarmen“, „Ein Bild von der Oma aufstellen“. Auf dem Friedhof sind auch schon fast alle mal gewesen. „Ich habe eine Kerze angezündet“, sagt ein Mädchen, „Mein Opa geht ganz oft hin und pflegt das Grab“, erzählt einer, der eben noch seinen Nachbarn geknufft hat. Sabine Rummel ist zufrieden mit dem Verlauf der Unterrichtsstunde.

Das Thema Tod und Trauer begegne in der Grundschule jedem Kind mindestens einmal im Unterricht, oft in den Novembertagen. Fest im Lehrplan eingetragen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgeschrieben sei es aber nicht. Zur Sprache kommt das Thema Tod natürlich auch, wenn tatsächlich jemand aus der Verwandtschaft eines Kindes stirbt. „Ich habe das immer in der Klasse angesprochen“, erinnert sich Ulrich Rüppel, der bis zu diesem Jahr die Egbert-Grundschule leitete und nun pensioniert ist.

Die neue Schulleiterin Johanna Keller hat auch mit ihrer Klasse über den Tod gesprochen, als ihre eigene Mutter starb. „Es ist sehr wichtig, dass dieses Thema situationsbezogen aufgegriffen wird“, bekräftigt Rüppel. Nicht immer eine leichte Situation für die Pädagogen. Auch sie sind den Umgang mit dem Thema Tod oft nicht gewöhnt, brauchen Rat und Hilfe. Ein Hospizhaus könnte als Informations- und Fortbildungsstätte für Lehrer eine wichtige Rolle spielen, glaubt Ulrich Rüppel.

Hospizhaus als Anlaufstelle auch für Lehrer

An eine Situation erinnert sich Johanna Keller noch ganz genau: An einem Wandertag war ein Schüler von einem herabfallenden Stein getroffen und schwer verletzt worden. Als er ins Krankenhaus gebracht wurde, blieben die Kinder verängstigt und verwirrt zurück. „Was machen wir denn jetzt?“, fragten sie ihre Lehrerin. „Warten“, antwortete sie. „Und dann“, erzählt Johanna Keller, „hatten die Kinder ganz spontan die Idee, für ihren Mitschüler zu beten. Sie dachten wirklich, er stirbt. Aber der Junge hat überlebt.“

Mitgefühl empfinden, die Trauer teilen lernen – über solche Dinge wird also auch in der Schule gesprochen. Dabei haben die Viertklässler heute gelernt, dass es verschiedene Arten gibt, seine Trauer zu zeigen. Der Bruder des kleinen Robert kann in der Geschichte nicht weinen, obwohl er traurig ist. Und einer der Schüler weiß auch, warum: „Männer weinen eher innen, oder?“