Mal wieder locker übersprungen

BERLIN. Der Staat steckt im Schuldenloch: Bund, Länder und Gemeinden leben munter auf Pump. Unter der Drei-Prozent-Hürde bei der Neuverschuldung zu bleiben, dürfte 2004 ein Ding der Unmöglichkeit werden.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden überstiegen die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden im ersten Halbjahr die Einnahmen um 42,7 Milliarden Euro. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt summierte sich das Defizit der öffentlichen Kassen auf vier Prozent. Bleibt es 2004 dabei, hätte Deutschland das Stabilitätskriterium des Maastrichter EU-Vertrages zum dritten Mal in Folge verletzt. Danach ist eine Neuverschuldungsgrenze von maximal drei Prozent zulässig. Das Bundesfinanzministerium verwies zwar auf die monatlich ungleichmäßig verteilten Einnahmen und Ausgaben, weshalb keine Rückschlüsse auf das Gesamtjahr gezogen werden könnten. Tatsächlich hat sich die rot-grüne Koalition aber längst mit einem erneuten Scheitern an der Maastricht-Hürde abgefunden. "Ich gehe nicht davon aus, dass wir das schaffen", sagte die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, unserer Zeitung. Dafür sei das Wirtschaftswachstum immer noch zu gering. Im Hinblick auf das kommende Jahr sehe sie den Bund aber "auf gutem Wege", das Verschuldungskritierium wieder einzuhalten. Ein paar positive Tendenzen steuerten die Wiesbadener Statistiker dazu bei. So wuchs die bundesdeutsche Wirtschaft im Vergleich zum ersten Quartal um real 0,5 Prozent. Gemessen am Vorjahresquartal waren es sogar zwei Prozent plus. Der konjunkturelle Lichtblick ist allerdings nahezu ausschließlich auf die starken Exporte zurückzuführen. Dagegen blieben die privaten Konsumausgaben mit plus 0,1 Prozent seit Jahresbeginn praktisch unverändert. Für den haushaltspolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Dietrich Austermann, ändert der leichte Aufwärtstrend nichts an den "grundlegend falschen Weichenstellungen" von Rot-Grün: Selbst ein Wachstum von zwei Prozent könne nicht verhindern, dass die Steuereinnahmen bis Juli unter den Schätzungen des Vorjahres geblieben seien. "Wenn der Haushalt schon von vornherein voll daneben liegt, dann investiert auch keiner in der Wirtschaft", meinte Austermann.Ein Desaster wie im vergangenen Jahr

Beim Bundeshaushalt 2003 hatte die Regierung ursprünglich eine Neuverschuldung von rund 19 Milliarden Euro angesetzt. Am Ende stieg das Defizit auf das Doppelte. Für das laufende Jahr kündigt sich ein ähnliches Desaster an. In der Vorwoche musste das Finanzministerium eine bislang aufgelaufene Etatlücke von mehr als 40 Milliarden Euro einräumen. Im aktuellen Haushalt sind aber nur Kredite im Umfang von 29,3 Milliarden Euro ausgewiesen. Austermann plädiert deshalb für eine sofortige Haushaltssperre, die einen Ausgabestopp für alle freiwilligen Ausgaben der öffentlichen Hand bedeutet. Darunter fällt etwa die Büroausstattung von Staatsdienern, aber auch die Öffentlichkeitsarbeit des Bundes bis hin zu teuren Beraterverträgen. Als zweiten Schritt forderte Austermann von Eichel erneut einen Nachtragshaushalt. Auch der Mainzer Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven kritisierte gegenüber unserer Zeitung die zögerliche Haltung des Finanzministers. Einen Nachtragshaushalt hatte Eichel allenfalls für den Herbst in Aussicht gestellt. Für Peffekoven hat dieses Vorgehen Methode. "Würde der Minister schon zur Jahresmitte handeln, müsste er sagen, wo Ausgaben gekürzt werden sollen." Zum Jahresende bliebe zwangsläufig nur noch der Weg in zusätzliche Schulden. Die Gesamtsumme der Neuverschuldung des Bundes prognostiziert der Finanzexperte für 2004 auf bis zu 45 Milliarden Euro. Auch der bereits gefasste Kabinettsbeschluss zum Haushalt 2005 ist für Peffekoven kaum das Papier wert, auf dem er geschrieben steht. "Im kommenden Jahr werde Deutschland ebenfalls "deutlich" über dem Drei-Prozent-Kriterium liegen. Selbst vom Hartz-IV-Gesetz sind laut Peffekoven keine Wunder zu erwarten. Dabei verwies er auf die jüngsten Nachbesserungen etwa bei der Anrechnung von Vermögen, die den Staat rund eine Milliarde Euro kosten.

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