"Man kann hier einiges bewegen"

Zum ersten Mal leitet ein Soziologe die Universität Trier. Professor Michael Jäckel tritt heute die Nachfolge von Peter Schwenkmezger an. Wie sein Vorgänger steht der 51-Jährige für einen behutsamen Kurs und Entwicklungen mit Augenmaß. Was er in den nächsten Jahren vorhat, verriet er im Gespräch mit TV-Redakteur Dieter Lintz.

 Universitätspräsident Professor Dr. Michael Jäckel ist der erste Soziologe, der die Uni Trier leitet. Auch wenn er sich nur ungern von der Lehr- und Forschungstätigkeit verabschiedet, freut er sich auf seine neue Aufgabe. TV-Foto: Friedemann Vetter

Universitätspräsident Professor Dr. Michael Jäckel ist der erste Soziologe, der die Uni Trier leitet. Auch wenn er sich nur ungern von der Lehr- und Forschungstätigkeit verabschiedet, freut er sich auf seine neue Aufgabe. TV-Foto: Friedemann Vetter

Herr Jäckel, Sie könnten jetzt ganz gemütlich in ihrem Professorenbüro sitzen, Vorlesungen halten, forschen, Bücher schreiben, als Medien-Experte auftreten. Stattdessen übernehmen Sie in Zeiten von Geldmangel, umstrittenen Abschlüssen, aktueller Studentenschwemme und prognostiziertem Studentenschwund ein Amt, um das sich nicht viele Leute gerissen haben. Was um alles in der Welt hat Sie dazu bewegt?
Michael Jäckel: So wie Sie fragen, werden Sie es nicht glauben, aber ich freue mich richtig auf die neue Aufgabe. Und gemütlich ist es in einem Professorenbüro auch nicht immer. Es hat auch damit zu tun, dass ich mich mit dieser Uni von Anfang an identifiziert habe, auch die positive Aufnahme meiner Kandidatur und die vielen Ermutigungen waren wichtig. Es gibt einen Generationswechsel mit vielen neuen Gesichtern, und es gibt viele neue Ideen. Man kann hier einiges bewegen.
Ein Beispiel?
Jäckel: Nehmen Sie in der Lehre eine Idee wie den "Moot Court", also die mit Jurastudenten nachgestellte Gerichtsverhandlung am Originalschauplatz. Das sind ganz neue Lehr- und Lernformen, davon gibt es eine ganze Menge. Und die Vorlesung ist nach meiner Auffassung auch kein Auslaufmodell. Sie ist eine Herausforderung. Also: Neues ausprobieren.
Haben Sie sich für sich persönlich schon von der Lehr- und Forschungstätigkeit verabschiedet?
Jäckel: Ungern. Das eine oder andere konnte ich noch realisieren. Aber zuletzt wurde die Nähe zum Amt terminlich immer deutlicher spürbar. Doch ich versuche dranzubleiben.
Ihr Vorgänger hat darauf hingewiesen, dass der Uni-Präsident keine Bataillone hat, also in vielen Dingen keine unmittelbare Machtbefugnis. Muss man da eher Diplomat sein oder auch schon mal auf den Tisch hauen?
Jäckel: Ich bin eher Pragmatiker, wenn auch manchmal etwas zu ungeduldig. Aber in unseren Strukturen muss man den Beteiligten Zeit lassen, sie überzeugen. Man kann eine Uni nicht von oben durchregieren. Die finanzielle Manövriermasse des Präsidenten heißt wohl nicht zufällig "Reserve"…
…, die Sie beispielsweise für Berufungsverhandlungen brauchen. Bekommt man überhaupt attraktive Leute nach Trier?
Jäckel: Hier waren und sind attraktive Leute, aber der Wettbewerb ist groß. Die Anspruchsspirale dreht sich nach oben. Berufungsverhandlungen sind ein mühsames Geschäft geworden.
Man hat das Gefühl, die Unis lecken immer noch ihre Wunden wegen der Einführung der ungeliebten neuen Studienabschlüsse. Haben Sie ihren Frieden mit Bachelor und Master gemacht?
Jäckel: Wir sind da wie alle noch in der Navigationsphase. Das ist ein schwieriges Puzzle, aber mit den ewigen negativen Kommentaren vor allem über den Bachelor muss irgendwann Schluss sein. Ich denke, dass umstrittene Vorgaben wie die strikte Regelstudienzeit bereits in Auflösung begriffen sind - das ist für zu viele nicht zu schaffen. Zumal zwei von drei Studierenden neben dem Studium arbeiten.
Die Anforderungen an die Hochschulen ändern sich ständig, man erwartet flexible Reaktionen. Ist der Riesen-Dinosaurier Universität dazu überhaupt in der Lage?
Jäckel: Zugegeben: Wir sind ein schwer manövrierbarer Tanker mit manchmal zu langen Leerlaufzeiten. Der Änderungsbedarf ist groß, daher müssen wir Prioritäten setzen. Bei den neuen Professuren sind Zielvereinbarungen inzwischen Standard. Hilfreich wäre sicher eine Art Anreizsystem, denn es gibt zu wenig Belohnungskomponenten an einer Uni. Darüber muss man nachdenken.
Sie sind Professor für Konsum-Soziologie. Ihnen muss sicher niemand die Bedeutung von Werbung, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit nach innen und außen erklären. Da ist die Uni noch ein Entwicklungsland …
Jäckel: Sagen wir, da muss ein Ruck durch die Uni gehen. Gute Ansätze sind schon da. Wir brauchen bessere Kommunikationsmedien nach innen, die Orientierung erleichtern und kompakt informieren. Der Zettelwald in unseren Gebäuden ist nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen Medien, die aufmerksam machen.
Und nach außen?
Jäckel: Wir brauchen ein klares Erscheinungsbild. Vielleicht ein neuer Slogan, gute Internetpräsenz, Verfügbarkeit über viele Kanäle, eine moderne Broschüre, eine englischsprachige Homepage. Unser Name muss auch überregional mehr präsent sein. Und wir müssen Dinge, die wir richtig gut machen, nach außen verkaufen, wie Betreuungsangebote für internationale Studierende oder Promovieren mit Kind. Kernbereich bleibt natürlich die Ausbildung der Studenten.

Von studentischer Seite wird oft kritisiert, dass die Lehre qualitativ besser sein könnte …
Jäckel: Didaktik war nie das Lieblingsthema von Hochschullehrern. Wir nehmen Kritik ernst, die Qualitätssicherung spielt im Hochschulpakt eine große Rolle. Aber Qualität herzustellen, ist auch schwer, wenn 80 oder 100 Leute im Seminar sitzen. Diese Strukturen taugen nichts und müssen weg. Irgendwo haben die Kreativität der Lehrenden und die Gemütlichkeit des Raums ihre Grenzen.
Wie ist das mit dem Verhältnis Uni-Stadt? Das sieht so aus, als ob man nebeneinanderher lebt.
Jäckel: Stimmt, wir liegen da oben ein bisschen auf einer Satellitenstation. Aber es gibt auch die Kinder-Uni, es gibt Schnupperangebote für Schüler, es gab die große Armuts-Ausstellung. Sport könnte ein weiterer Integrationsfaktor werden, Veranstaltungen wie die Nacht der Wissenschaft brauchen eine breitere Zielgruppe. Das Gespräch mit dem OB und dem Forum Hochschule-Wirtschaft ist schon terminiert. Aber irgendwann stößt man halt immer auf das leidige Thema der knappen Kassen.
Wo drücken denn die Finanzen am schlimmsten?
Jäckel: Bei Sachinvestitionen, ein Gästehaus mit einem etwas repräsentativeren Raum wäre schön. Aber unser Etat erlaubt keine großen Sprünge. Und das Personalbudget ist auch eine Dauerbaustelle mit teilweise ungerechten Situationen im wissenschaftlichen Nachwuchsbereich. Gerade da liegt die Zukunft, da brauchen wir mehr Spielraum.Die Uni Trier hat rund 15 000 Studierende in sechs - überwiegend geisteswissenschaftlichen - Fachbereichen. Sie beschäftigt knapp 1000 Mitarbeiter, davon 175 Professoren. Ihr Jahresetat betrug 2009 rund 102 Millionen Euro. Die Universität, deren Träger das Land Rheinland-Pfalz ist, entscheidet über ihre Geschicke in Selbstverwaltung. Deren höchster Repräsentant ist der jeweils für sechs Jahre vom Senat gewählte Präsident. Seit ihrer Selbstständigkeit im Jahr 1975 hatte die Uni Trier erst vier Präsidenten.DiL Geboren 1959, aufgewachsen in Oberwesel, Studium und Promotion in Mainz. Seit 1996 Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Konsumforschung in Trier. Autor etlicher Fachbücher. Seit 2003 amtierte er als Vizepräsident, Schwerpunkt Haushalt. Bei seiner Wahl erhielt er 19 Stimmen, sein Gegenkandidat kam nur auf eine. Privat ist Jäckel verheiratet und Vater zweier Töchter. Mit seinem Vorgänger teilt er die Leidenschaft für den Gesang, allerdings nicht als Tenor im klassischen Chor, sondern als Bass in einer A-cappella-Formation. DiL

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort