"Medienrummel ist keine Vorverurteilung"

MÜNSTER/TRIER. Der "Raser-Prozess" von Karlsruhe schlug hohe Wellen. Der 34-Jährige Fahrer eines Mercedes wurde am Mittwoch zu 18 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Im TV -Interview nimmt der Strafprozess-Experte Dr. Axel Henrichs Stellung zum Prozessverlauf und dem Urteil.

Herr Henrichs, was sagen Sie als Jurist zum Urteil von Karlsruhe? Henrichs: Fernab der medialen Aufregung lässt sich das Urteil in eine lange Liste von juristisch Aufsehen erregenden Fällen einreihen, in der sich zum Beispiel auch der "Kannibalen-Fall" von Rotenburg befindet. Juristisch ist eher nüchtern zu prüfen, welche Tatsachen und Beweise im Verfahren eingebracht wurden und wie und wodurch die richterliche Überzeugungsbildung unter Einbeziehung aller be- und entlastenden Momente ihren Lauf nahm. Ist die Strafe Ihrer Meinung nach zu hoch ausgefallen? Henrichs: Wie in den Medien berichtet, wurde der Mercedes-Fahrer wegen fahrlässiger Tötung und wegen fahrlässiger Verkehrsgefährdung verurteilt. Die Verurteilung eines strafrechtlich unbescholtenen Ersttäters zu einer Freiheitsstrafe in dieser Höhe ohne Bewährung erstaunt auf den ersten Blick. Der Richter ist im Rahmen des Rechts bei der Bemessung der Strafe frei. Für ihn ist ausschließlich der durch das Gesetz vorgegebene Strafrahmen maßgeblich - in diesem Fall eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bei fahrlässiger Tötungbeziehungsweise bis zu zwei Jahren für die Straßenverkehrsgefährdung. Wie sehen Sie den Prozess-Verlauf und seine Vorgeschichte in den Medien und der Öffentlichkeit? Henrichs: Der Medienrummel zeigt auf der einen Seite das große Interesse der Öffentlichkeit für spektakuläre Ereignisse. Davon sind natürlich auch die Prozessbeteiligten betroffen, sowohl auf der Seite der Anklage als auch auf der Seite der Verteidigung. Selbst die Richterschaft ist nicht völlig frei von Auswirkungen, die ein solches Medienspektakel zwangsläufig nach sich zieht. Allerdings von einer Vorverurteilung zu sprechen, untergräbt in Ansätzen die Unabhängigkeit der beteiligten Richter. Glauben Sie, dass das Urteil in der Berufungsverhandlung revidiert wird? Henrichs: Eine solche Einschätzung kann im Rahmen einer "Ferndiagnose" nicht seriös vorgenommen werden. Auch bei einer Berufungs-Verhandlung geht es eher professionell und nüchtern zur Sache. Es wird geprüft, ob Verfahrensfehler vorliegen und ob diese für die Verurteilung beziehungsweise für das Strafmaß ursächlich waren. Was sagen Sie zum Verhalten von Richterin und Staatsanwalt während des Prozesses? Henrichs: Wenn berichtet wird, dass sich die Richterin zumBeispiel über das Verhalten von Zeugen erstaunt gezeigt hat, ist dies durchaus legitim. Nicht selten muss die Verhandlungsführung dem Erinnerungsvermögen von Zeugen ein wenig "nachhelfen". Sagen Zeugen die Unwahrheit, wenn sie sich auf Erinnerungslücken oder Unkenntnisberufen, setzen sie sich eigener Strafverfolgung aus. Lügen oder Schweigen im Strafprozess ist das Recht des Angeklagten, für Zeugen ist es grundsätzlich mit empfindlichen Strafen bedroht. S Mit Dr. Axel Henrichs sprach TV-Redakteur Björn Pazen

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