Mediziner in der Region unterm Hakenkreuz

Trier · Erstmals soll die Verstrickung der Ärzte aus der Region in den Nationalsozialismus umfassend aufgearbeitet werden. Die Trierer Bezirksärztekammer will schonungslos über die unrühmliche Vergangenheit aufklären.

Trier. Es sind Hunderte von Schicksalen. Schicksale, die bis heute nicht geklärt sind. Schicksale von Menschen, die von Medizinern in den Tod geschickt wurden. Mediziner aus der Region. Ärzte, etwa im Trierer Brüderkrankenhaus, die mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet haben. Sie haben psyschisch Kranke und Behinderte "behandelt". In Wirklichkeit war es das Todesurteil für die Menschen. Sie sind aus dem Brüderkrankenhaus verschwunden, ohne dass die Angehörigen wussten, was mit ihnen passiert war. Viele Schicksale sind bis heute ungeklärt. Doch sicher ist: Die ins Brüderkrankenkaus Eingewiesenen wurden direkt von dort in Tötungslager der Nationalsozialisten transportiert. Umgebracht aus Rassenwahn.
Diesen unterstützten auch Ärzte des benachbarten Evangelischen Krankenhauses. Dort wurden über 2000 Menschen aus der Region zwangssterilisiert. Die Mediziner stuften etwa Gehörlose als Erbkranke ein. Und diese durften keinen Nachwuchs bekommen.
Die Trierer Bezirksärztekammer will sich nun erstmals dieser dunklen Geschichte der Ärzteschaft der Region stellen. Die im Auftrag der Nazis verübten Gräueltaten etlicher Mediziner in Trier und Umgebung sollen thematisiert werden in einer Veranstaltungsreihe. "Wir stellen uns der unrühmlichen Vergangenheit", sagt Kammervorsitzender Günther Mattheis.
Innerhalb der Ärzteschaft in der Region war das Thema bislang eher ein Tabu. Grund dafür sei, so Matheis, dass zum Teil noch immer Verwandte von Medizinern, die Menschenleben zerstört haben, hier wohnten. Er sei sich bewusst, dass die Diskussion und die Nennung von Namen von Ärzten für sie unangenehm werden könne. "Wir müssen wegkommen von dem Schweigen", sagt Matheis. Die Ärzteschaft in der Region habe viel zu spät mit der Aufarbeitung der Nazivergangenheit begonnen. Genau das hat Matheis sich nach seiner Wahl zum Kammerchef vor einem Jahr zum Ziel gesetzt: das Schweigen zu brechen, die Ärzte mit ihrer unrühmlichen Geschichte zu konfrontieren. Der Jahrestag im kommenden Januar, 80 Jahre nach der Machtergreifung Hitlers, sei der richtige Zeitpunkt dafür. "Es muss einfach mal gesagt werden, dass es bei uns nicht besser war als woanders in Deutschland", sagt Matheis. Es gelte, die Legende zu widerlegen, dass die kirchlichen Krankenhäuser der Region nicht an den Gräueltaten beteiligt gewesen sind.
Unterstützt wird die Kammer von dem Trierer Historiker Thomas Schnitzler. Er hat nicht nur Schicksale von Menschen, die in Trier, Wittlich oder Saarburg zwangssterilisiert wurden, nachrecherchiert, sondern auch zwölf von insgesamt 542 Lebensläufen von Behinderten und psychisch Kranken, die vom Brüderkrankenhaus aus in Todeslager deportiert wurden. An sie erinnern zwölf Stolpersteine, die kürzlich vor der Klinik verlegt wurden. "Es ist Zeit, dass es mit der Aufarbeitung losgeht", sagt Schnitzeler.Extra

"Medizin unter dem Nationalsozialismus" ist der Titel einer Veranstaltungsreihe der Bezirksärztekammer Trier. In Vorträgen, Diskussionsrunden und einer Ausstellung über jüdische Ärzte, denen unter den Nazis die Behandlungserlaubnis entzogen wurde, soll die Vergangenheit der Mediziner in der Region aufgearbeitet werden. Auftakt zu der Reihe ist am Donnerstag, 29. November, 19 Uhr, im Ärztehaus in Trier, Balduinstraße 10-14. Der Trierer Historiker Thomas Schnitzler wird zunächst von seinen Erkenntnissen über die Verstrickung der Ärzte in der Region in Nazi-Gräueltaten berichten. Danach kommen Zeitzeugen zu Wort, unter anderem ein in Hermeskeil lebender Ausschwitz-Überlebender sowie eine Tochter eines Chefarztes des evangelischen Krankenhauses in Trier, der sich geweigert hatte, Zwangssterilisationen durchzuführen. Der Eintritt ist frei. Weitere Infos unter Telefon 0651/99475910. wie

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