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Die Sache hat ein bisschen was von einem Staatsbesuch. Nur dass keine Kinder Fähnchen schwingen, sondern nur ein paar protestierende Jusos und Gewerkschafter selbst gemalte Plakate hochhalten. Die halbe Hundertschaft aus Politikern, Journalisten und vereinzelten "Normalbürgern" hält vor dem Trierer Hauptbahnhof gespannt auf der Straße Ausschau nach dem hohen Gast.

Aber der kommt, Überraschung, aus dem Bahnhof heraus. Nicht, dass er tatsächlich mit dem Zug gekommen wäre, dafür hat er es nach eigenem Bekunden denn doch zu eilig. Aber es sieht doch einfach besser aus, wenn der Bahn-Chef nicht öffentlich aus dem Auto aussteigt.

Er wirkt durchaus umgänglich, der Mann, der seit Jahren auf den Spitzenplatz in Umfragen über den unbeliebtesten Deutschen abonniert ist, allenfalls temporär verdrängt von Dieter Bohlen, Uli Hoeneß oder Josef Ackermann. Wie ein Wahlkämpfer tritt er auf, mit Aufmerksamkeit suggerierendem Lächeln, gleichbleibender Freundlichkeit und wachem Blick. Die provokante Aura des Rechthaberischen, die er vor Fernsehkameras schnell ausstrahlt, reduziert sich aus der Nähe auf Normalmaß. Es reicht sogar für ein paar joviale Worte in Richtung der Demonstranten.

Allzu viel Gelegenheit, sich zu äußern, ist ihm zunächst ohnehin nicht gegeben. Ein Gläschen Sekt zur Begrüßung - wann gibt es im Trierer Bahnhofs-Elend sonst schon mal einen Grund zum Feiern. Dann nehmen die Herren Kaster, Jensen und Schartz den Besucher aus Berlin unter Dauerbeschuss. "Großregion", "Luxemburg", "Europa" - immer wieder dringen die gleichen Wortfetzen an das Ohr der verzweifelt um akustische Teilhabe ringenden Besucher.

Der Bahn-Chef hört geduldig zu, auch wenn seine Blicke immer häufiger in die Höhe der angejahrten Wandgemälde wandern, die den Bahnhof seit Nachkriegstagen zieren. Er habe "schon Schlimmeres gesehen" als den Trierer Hauptbahnhof, wirft er ein. Was wahrscheinlich sogar der Wahrheit entspricht, aber trotzdem wenig Trost beinhaltet.

Die Politik hat ihre Kavalkaden abgeschickt, jetzt sind die Journalisten dran - in Sachen Bahn und Region gleichfalls allesamt Betroffene, wie man den Fragen anmerkt. Mehdorn, trotz der Kälte leger im offenen Mantel, bleibt cool. Vielleicht hat er sich gegen Außenwirkungen längst immunisiert. Es wäre verständlich bei einem, der Prügel kassiert, wann immer er seine Kundschaft trifft.

Zwei Minuten bleiben für eine Händeschüttel-Runde durch "seinen" Bahnhof. Die beiden jungen Mitarbeiter am schließungsbedrohten Info-Point haben Zeit, sich auf den großen Moment vorzubereiten, hat sich doch seit 20 Minuten kein Kunde mehr an ihren Schalter verirrt.

Noch schnell eine Presse-Konferenz, der unermüdliche Abgeordnete Kaster preist zum dritten Mal die "große, bedeutende Modell-Region im Herzen Europas". Hartmut Mehdorn lächelt und nickt weiter, allenfalls die pausenlos mahlenden Hände lassen sich als Zeichen von Ungeduld werten. Von wie vielen Abgeordneten und Bürgermeistern wird er schon gehört haben, dass gerade ihre Region die wichtigste, internationalste, unterstützungswürdigste ist. Und wie oft hat er sich wohl die ehrliche Antwort verkniffen, dass ihm regionale Interessen angesichts seines Jobs als Chef eines gewinnorientierten, Richtung Börse schielenden Großunternehmens aber so was von egal sein müssen.

Im Grunde wissen das alle. Deshalb bleibt die Kritik erstaunlich milde. Erst ganz am Ende der abschließenden Podiumsdiskussion regt sich Protest, angeführt vom knorrigen Alt-Abgeordneten Horst Langes. Die Bahn-Kundschaft im Saal mault, Mehdorn verschanzt sich hinter einer Barrikade von Sachzwängen und kryptischen Rechenbeispielen.

Zwei Welten, zwei Wahrheiten, zwei Realitäten.

Dieter Lintz

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