Mehr Freiheit, mehr Verwirrung

BERLIN. Die geplanten Änderungen an der Rechtschreibreform stoßen auf Kritik. EinPapier der "Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung” schlägt zum Ende der Übergangsfrist der Reform im Sommer 2005 Änderungen vor. Der Kommissions-Bericht zielt darauf ab, den Schreibenden größere Wahlfreiheit zwischen mehreren Varianten zu lassen.

Die Vorsitzende des Bildungsausschusses des deutschen Bundestages, Ulrike Flach (FDP), blickte gestern mit einem gewissen Grausen nach Mannheim. Dort hat nämlich die Kommission ihren Sitz. Und am Donnerstag wurde bekannt, dass die zwölf Experten in der kommenden Woche der Amtschefkommission der Kultusministerkonferenz (KMK) offenbar empfehlen werden, bei der Rechtschreibreform noch einmal kräftig nachzulegen - also quasi eine Reform der Reform vorzunehmen. "Wir sollten die Deutschen wirklich mal in Ruhe lassen, das ist doch gar nicht mehr zu vermitteln”, meckerte daraufhin Bildungsexpertin Flach gegenüber unserer Zeitung. Seit 1998 wird nach den geänderten Regeln an den Schulen unterrichtet, seit 1999 wendet der überwiegende Teil der Medien sie an - führende deutsche Autoren wie Günter Grass weigern sich allerdings, Schifffahrt mit drei "f” oder Kuss mit "ss” zu schreiben. Ab dem 1. August 2005 gilt die neue Rechtschreibung jedoch verbindlich. Das heißt, Verstöße werden in den Schulen dann als falsch geahndet und wirken sich auf die Noten aus. Die Umsetzung des neuen Regelwerkes und die Erarbeitung von Vorschlägen zur Weiterentwicklung ist die Aufgabe der Mannheimer "Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission”. Alle zwei Jahre legen die Experten im Auftrag der KMK, des Bundesinnenministeriums und der Länder Österreich, Schweiz und Liechtenstein einen Bericht vor. Die vierte - vertrauliche - Analyse ist nun fertig. Und darin kommen die Experten zu dem Ergebnis, dass sich die Neuregelungen insgesamt zwar bewährt haben, aber erneut mehrere "Anpassungen und Präzisierungen” notwendig sind. Zusätzliche Varianten sowohl bei der Getrennt- und Zusammenschreibung als auch bei der Groß- und Kleinschreibung und dem Schreiben mit Bindestrich schlägt das Gremium vor. Das ist aus Sicht der Mannheimer Fachleute nur folgerichtig, denn bereits in ihrem letzten Bericht 2002 hatte die Kommission Problemfälle benannt, jetzt zog man also die entsprechenden Konsequenzen. Beispiel: "Leid tun”. Künftig soll man auch "leidtun” schreiben dürfen. Oder: Bei "ohne weiteres” oder "die meisten” sollen auch die Schreibweisen "ohne Weiteres” und "die Meisten” erlaubt werden. "Durch die Änderungen werden die bisherigen Schreibweisen nicht falsch. Denn die neue oder wieder zugelassenen Schreibweisen treten neben die bisherigen”, heißt es in der Vorlage für die Kultusministerkonferenz. Kosten entstünden nicht, Schulbücher müssten ebenso nicht geändert werden. Wer sich aber auf den neuesten Stand der Dinge bringen will, falls die Pläne tatsächlich Wirklichkeit werden, wird um ein erweitertes Wörterbuch wohl nicht herumkommen. Ausschussvorsitzende Ulrike Flach war nicht die einzige, die gestern in Berlin nur wenig Verständnis für die neuerlichen Rechtschreibpläne aufbrachte. Die Bildungsexpertin der CDU, Katherina Reiche, meinte, die Menschen hätten noch an den "bisherigen Anpassungen zu knabbern. Jeder weitere Beitrag zur Verunsicherung sollte deshalb vermieden werden.” Flach forderte, im nächsten Jahr eine unabhängige Untersuchung durchzuführen, wie die Reform insgesamt angenommen worden sei. Je nach Ergebnis "würde ich auch sagen, zurück zur alten Schreibe”.

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