Mehr Schein als Sein

Wenn etwas gärt, steigen Gase hoch, die oft zum Naserümpfen reizen. In der Union gärt es schon lange, das ist ein wenig untergegangen, weil die rot-grüne Windmaschine stets zuverlässig für frische Schlagzeilen sorgte.

Tatsächlich ist die zwischen CDU und CSU bei öffentlichen Anlässen demonstrierte Harmonie mehr Schein als Sein. Die Schwesterparteien haben einen unterschiedlichen Politik-Ansatz, wie sich bei den Kernthemen Steuerreform und Gesundheitsreform zeigt. Und sie haben ein Personalproblem: CSU-Chef Stoiber mag den Komplettanspruch der CDU-Kollegin Merkel als Nummer eins der Union nicht akzeptieren. Zu allem Überfluss ist nun noch ein Glaubwürdigkeitsproblem hinzu gekommen. Prominente CDU-Kaliber schleichen sich von der Verantwortung für das Reformgesetz Hartz IV davon. Sie lamentieren, relativieren und protestieren, obwohl sie der größten Sozialreform der bundesdeutschen Geschichte nicht nur zugestimmt haben, sondern diese im Vermittlungsausschuss auch noch verschärfen wollten. Jetzt weisen die Wahlkämpfer Milbradt und Rüttgers ungeniert mit dem Finger auf Rot-Grün und heucheln: "Haltet den Dieb!”. Wohl in der irrigen Hoffnung, dieser dreiste Schwindel würde als ernsthafte Besorgnis verständnisvoller Volksvertreter durchgehen. Das Gegenteil ist der Fall. Zunehmend durchschaut die Bevölkerung das üble Spiel jener, die vorgeben, das Land besser, ehrlicher, vernünftiger regieren zu können. Obwohl der Zerfleischungsprozess der SPD noch nicht beendet ist, bröckelt die Zustimmung der Wähler zur Union, und mit jedem neuen Querschuss aus München wird deutlich, wie brüchig der Burgfrieden zwischen CDU und CSU in Wirklichkeit ist. "Rohrkrepierer” nennt Stoiber die Kopfpauschale der CDU, und von dem Bierdeckel-Konzept des Kollegen Merz hält er auch nichts. CSU-Vize Seehofer spricht abschätzig von "Leichtmatrosen” und meint damit eigene Parteifreunde. Man geht überhaupt nicht christlich miteinander um in der Union, und das wissen auch Merkel und FDP-Chef Westerwelle, die sich als "Duo der Zukunft” wähnen, von Stoiber aber abgemeiert werden als "ostdeutsche Protestantin” und "Junggeselle aus Bonn”. Nun sollte man Hahnenkämpfe und Rivalitäten nicht überbetonen, zumal solche Verhaltensweisen allzu menschlich sind. Wer aber den Anspruch auf Seriosität und Kompetenz erhebt und den Beweis dafür schuldig bleibt, kann schneller als er denkt in einen verhängnisvollen Strudel geraten. Die Union muss sich entscheiden: für oder gegen Hartz, für oder gegen die Kopfpauschale, für oder gegen eine radikale Steuerreform. Bei den nächsten Wahlen in Sachsen, Brandenburg, dem Saarland und Nordhrein-Westfalen (Kommunalwahl) wird die CDU vermutlich besser abschneiden, als sie es verdient. Aber sie wird nicht so gut abschneiden, wie sie sich erhofft. nachrichten.red@volksfreund.de

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