"Merkel hat den Unmut unterschätzt"

Dem neuen Bundespräsidenten Christian Wulff wird es gelingen, die Nachwehen seiner Wahl abzuschütteln und ein parteiübergreifendes Staatsoberhaupt zu werden. Das sagt der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun.

Trier. (wie) Über die Folgen der Bundespräsidentenwahl für die Bundesregierung sprach unser Redakteur Bernd Wientjes mit dem Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun.

Ist Angela Merkel nach der Wahl-Qual von Christian Wulff als Bundeskanzlerin angeschlagen?

Jun: Das schwache Ergebnis im ersten Wahlgang deutet darauf hin, dass es doch erheblichen Unmut bei einigen Koalitionspolitikern über die schwarz-gelbe Regierung gibt. Das war schon ein Denkzettel für die Kanzlerin.

Warum haben dann die Abweichler im dritten Wahlgang doch ihr Kreuz bei Wulff gemacht?

Jun: Da sind doch einige aufgeschreckt und haben gesehen, dass der Schaden größer ist als zunächst angenommen.

Das Ende von Schwarz-Gelb ist also damit noch nicht gekommen?

Jun: Nein. Zwar gibt es Unzufriedenheit, der Wille zum Durchhalten ist aber größer.

Hat Merkel diese Unzufriedenheit unterschätzt?

Jun: Sicher hat Merkel geglaubt, dass mit der Bildung der schwarz-gelben Koalition das Regieren leichter wird. Es hat sich aber gezeigt, dass die Bedenken der Koalitionspartner gegenein-ander groß geblieben sind. Die FDP ist immer noch nicht richtig, aus der Opposition in der Regierung angekommen. Dieses Misstrauen ist geblieben und hat jetzt auch nachgewirkt.

Ist denn Wulff nun angeschlagen, oder geht er unbeschadet aus der Wahl hervor?

Jun: Wulff ist natürlich nicht mit Hurra ins Amt gewählt worden. Er weiß, dass es Vorbehalte gegenüber ihm gibt. Wulff wird sich bemühen, diese zu zerstreuen. Das wird ihm auch gelingen, wenn er das Amt so ausfüllt, wie es alle erhoffen, also parteiübergreifend. Und indem er klare Linien für die Politik aufzeigt.

Kann der Parteisoldat Wulff überhaupt parteiübergreifend sein?

Jun: Wulff wird zunächst mal auf Skepsis stoßen. Aber es kann ihm trotzdem gelingen. Er hat auch als Ministerpräsident in Niedersachsen selten polarisiert, ist eher ein Mann des Ausgleichs.

Wird Wulff neue Impulse als Bundespräsident setzen?

Jun: Das wird von ihm erwartet. Er soll sich von seinem Vorgänger durch seine politische Erfahrung unterscheiden. Es wird aber kein neuer Politikstil in das Schloss Bellevue einziehen. Wulff ist kein mitreißender Redner, aber jemand, der Ahnung vom Tagesgeschäft als Politiker hat. Er muss mithelfen, die Probleme in Deutschland zu lösen; er muss Vorschläge machen, eine Richtung vorgeben für die Politik der Regierung. Gelingt ihm das nicht, wäre die Enttäuschung in der Bevölkerung groß.

Muss sich nach dem quälenden Wahlmarathon etwas an der Wahl des Bundespräsidenten ändern, Stichwort: Direktwahl?

Jun: Wegen der geringen Kompetenzen des Bundespräsidenten macht es für die Bevölkerung wenig Sinn, einen Repräsentanten zu wählen, der über wenig Macht verfügt. Daher ist die jetzige Form der Wahl angemessen. Zur Person Uwe Jun, 1963 in Braunschweig geboren, lehrt seit 2005 als Professor für Vergleichende Regierungslehre, westliche Regierungssysteme und Bundesrepublik Deutschland an der Universität Trier. Seine Schwerpunkte sind Parteienforschung und politische Kommunikation. (wie)

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