Merkel meidet den Begriff Leitkultur

BERLIN. Mit einer Grundsatzrede ihrer Vorsitzenden Angela Merkel hat die CDU am Montag in Berlin die Debatte um ein neues Parteiprogramm eingeläutet. Zugleich wählte der kleine Parteitag Ronald Pofalla zum neuen Generalsekretär der Union.

Das gültige CDU-Grundsatzprogramm stammt aus dem Jahr 1994. Es muss, sagte Angela Merkel, in weiten Teilen überarbeitet werden. "Wir fühlen, dass sich durch die Globalisierung die Rahmenbedingungen verändert haben." Für die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin bedeutet die Programmdebatte ein Risiko. Schon im Vorfeld der Berliner Versammlung hatte der Streit um den Familienbegriff, um Leitkultur und soziale Gerechtigkeit an Heftigkeit zugenommen. Merkel appellierte an die Delegierten, die Diskussion so zu führen, "dass man dem anderen nicht gleich das Schlimmste unterstellt". Mit ihrem Referat versuchte die Vorsitzende dafür ein Beispiel zu setzen. Selbst DGB-Chef Michael Sommer sprach hinterher von einem "ausgesprochen souveränen Vortrag". Er habe das Gefühl, in der Union gebe es eine "Tendenz zur sozialen Grunderneuerung", die CDU habe "reflektiert, dass sie mit neoliberalen Thesen keine Mehrheit bekommen hat". So eindeutig, wie Sommer es wahrnehmen wollte, bewegte sich Merkel freilich nicht in seine Richtung. Die Unionsvorsitzende stellte vielmehr unideologisch unterschiedliche Positionen zu Grundsatzfragen dar, ohne selbst allzu konkret Stellung zu beziehen. Häufig rief sie auch nur die Themen auf. Zum Antiterrorkampf etwa: Innere und äußere Sicherheit seien nicht mehr voneinander zu trennen, sagte Merkel. Was das für die Frage eines Bundeswehreinsatzes im Inneren bedeutet, blieb offen. Zum Familienbild: Die CDU sei immer Anwalt der Wahlfreiheit zwischen Berufstätigkeit und häuslicher Rolle gewesen. Diese Debatte werde weitergehen. Zu den Grenzen von Bio- und Genforschung: Da gebe es große Hoffnungen von Erkrankten. "Diese Diskussion ist nicht zu Ende." Etwas konkreter wurde Merkel nur bei der Gesundheitspolitik, wo sie erkennen ließ, dass sie nach wie vor die Kopfpauschale befürwortet: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die soziale Gerechtigkeit erhalten können, wenn wir das nur über Beiträge finanzieren." Auch Straßen und Schulen würden über Steuern bezahlt. Immerhin markierte Merkel einige Grundbegriffe für das neue Programm. So sprach sie von "verantworteter Freiheit". Es gehe um "Freiheit für etwas, nicht nur von etwas". Bei der sozialen Gerechtigkeit sprach sie von "Teilhabe-Chancen". Es sei nicht sozial gerecht, wenn Kinder mit schwieriger sozialer Herkunft geringere Bildungschancen hätten. Im Osten Deutschlands werde die Marktwirtschaft nur noch von einer Minderheit als gerecht empfunden. "Wir müssen den Beweis liefern, dass die soziale Marktwirtschaft im globalen Rahmen eine Chance hat", sagte Merkel. Der globale Wettbewerb brauche einen Ordnungsrahmen. Merkel forderte weltweite Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums. Die Rede der Unionschefin wich in ihrem Pragmatismus stark ab von der Eröffnungsrede, die der Vorsitzende der CDU-Wertekommission, Christoph Böhr, hielt. Böhr sagte, jede Gesellschaft brauche "ein Leitbild und eine Leitkultur". Leitbild der Union sei das christliche Menschenbild, das "zugleich auch das europäische Menschenbild" sei. "Diese Leitkultur kann gar nicht anders, als universelle Ansprüche zu haben." Merkel benutzte zwar auch das Wort "christliches Menschenbild", stellte es aber nicht zentral. Den Begriff Leitkultur vermied sie. Vielmehr sagte sie mit Blick auf den Karikaturenstreit: "Wir müssen mehr über die Empfindungen anderer wissen."

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