"Merkel muss seriöser werden"

Der Chef der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, geht mit der christlich-liberalen Koalition hart ins Gericht. Seine Behauptung: "Die sitzen in Regierungsämtern, aber regieren nicht."

Berlin. (wk) Sigmar Gabriel wollte als Umweltminister in Kopenhagen das Klimaabkommen mitaushandeln, doch die Wahlniederlage seiner Partei katapultierte ihn aus der Regierung und ins Amt des SPD-Vorsitzenden. Darin fühlt sich der 50-Jährige ganz angriffslustig. Mit Gabriel sprach unser Korrespondent Werner Kolhoff.

Die Regierung hat einen Stolperstart hingelegt, aber wie ist denn die SPD aus den Löchern gekommen?

Sigmar Gabriel: Stolperstart ist ja die Untertreibung des Jahrhunderts. Die sitzen in Regierungsämtern, aber regieren nicht. FDP, CSU und CDU blockieren sich gegenseitig, weil dort Ideologen und keine Ökonomen beieinander sitzen.

Warum profitiert die SPD so wenig davon?

Gabriel: Wenige Wochen nach der Bundestagswahl in der politischen Stimmung fünf bis sieben Prozent rauf, das ist ja nicht schlecht. Aber klar ist auch, dass uns die Wähler ja bewusst in die Opposition geschickt haben. Da kann man nach ein paar Wochen nicht erwarten, dass sie ihre Entscheidung schon revidieren, wenn sie von Meinungsforschern gefragt werden.

Die Regierung will das Wachstum stimulieren, indem sie Steuern senkt. Das ist doch was.

Gabriel: Diese Behauptung von FDP und CSU/CDU soll doch nur verbergen, um was es tatsächlich geht: die Bedienung von Klientelinteressen. Niemand glaubt doch wirklich, dass die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers die Wirtschaft ankurbelt. Was die gelb-schwarze Regierung da macht, ist Voodoo-Keynesianismus.

Aber es ist auch nicht schädlich.

Gabriel: Doch, denn das entzieht dem Staat die Möglichkeit, das Richtige zu tun. Jetzt müsste man doch Investitionen fördern, zum Beispiel indem man die Abschreibungsbedingungen für Investitionen für Unternehmen verbessert und Investitionszulagen zahlt. Vor allem dort, wo nachhaltiges Wachstum entsteht. Und zweitens brauchen wir dringend mehr Geld für Bildung und Forschung. Durch die Steuersenkungen wird jetzt das Defizit der Städte und Gemeinden vergrößert, und wenn ab 2011 dann die völlig unsinnigen Einkommenssteuergeschenke der FDP folgen, fehlen den Ländern nochmal zwölf Milliarden. Wo werden die Kommunen und die Länder wohl kürzen? In Kindergärten, Schulen und Universitäten. FDP, CSU und CDU ruinieren die Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolges.

Eben wollten Sie selbst auch noch Steuern senken, nämlich die degressive Abschreibung verbessern.

Gabriel: Da, wo Steuersenkungen Investitionen auslösen, sind wir dabei. Denn dort liegt das eigentliche aktuelle Problem in Deutschland. Mehr Investitionen heißt mehr Arbeitsplätze. Wir schlagen zur Gegenfinanzierung den Abbau von überflüssigen Subventionen vor, damit das nicht auf die Verschuldung geht. Wir bieten der Regierung einen Pakt an, um eine solche Politik gemeinsam durchzusetzen.

Erst mal muss die Regierung nächste Woche mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz durch den Bundesrat. Schafft sie das?

Gabriel: Angela Merkel wird das versuchen, indem sie Lösegeld an einzelne Länder zahlt oder an alle. Die Frage ist nur, ob dann irgendetwas gelöst ist.

Inwiefern?

Gabriel: Wenn sich einzelne Länder mit ein paar Millionen kaufen lassen, übersehen sie, dass die negativen Folgen dieses Gesetzes für ihre Finanzen dauerhafter Natur sein werden. Und wenn alle zum Beispiel über die Umsatzsteuer mehr bekommen, übersieht Merkel, dass die Folgen für den Bund katastrophal sind. Es gibt keine Lösung, die zugleich das Problem der Länder und Gemeinden behebt und das des Bundes nicht vergrößert. Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist Rosstäuscherei: Es hat nicht das Ziel, Wachstum zu schaffen, sondern Geschenke an die Wählerklientel vor allem von FDP und CSU zu verteilen. Egal, ob die Länder dafür entschädigt werden oder nicht: Es ist ökonomischer Unsinn und finanzpolitisch unverantwortlich. Das sagen auch Bundesbank, Bundesrechnungshof, die Wirtschaftsweisen, die OECD und, und, und. Merkels Hauptproblem ist, dass sie seriöser werden muss.

Trotzdem wäre ein Abstimmungserfolg zunächst einmal ein Sieg für die Kanzlerin.

Gabriel: Nicht jeder Pyrrhus-Sieg für einen Politiker ist auch ein Erfolg für Deutschland.

Was halten Sie von dem britischen Vorschlag, Bonuszahlungen an Banker mit 50 Prozent zu besteuern?

Gabriel: Absolut richtig. Für mich läuft das unter der Überschrift Verursacherprinzip. Diejenigen, die die Krise verursacht haben, müssen auch einen Teil der Lasten mittragen. Zurzeit ist das Casino wieder eröffnet. Frau Merkel nennt die Idee charmant. Aber schon das, was im Koalitionsvertrag steht, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, kann sie mit ihrem Koalitionspartner nicht durchsetzen.

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