Merkel schiebt Schäuble ins Zentrum

Die Besetzung der Posten und das Feilen am 235 Seiten dicken Koalitionsvertrag haben den Abschluss der Verhandlungen gebildet.

Berlin. Wolfgang Schäuble als Finanzminister - mit diesem überraschenden Zug hat CDU-Chefin Angela Merkel in der Nacht zum Freitag in einem Spitzengespräch mit den Vorsitzenden von CSU und FDP den schwierigsten Teil der Koalitionsverhandlungen eröffnet: das Schachspiel um die Postenverteilung im Kabinett. Denn von der Entscheidung über das Finanzministerium leiteten sich alle anderen Positionen ab. Als die 27-köpfige "große Koalitionsrunde" am Freitagnachmittag in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin zu ihrer letzten Sitzung zusammentrat, waren die wichtigsten Ressorts faktisch schon besetzt.

So war mit Merkels Entscheidung für Finanzen klar, dass die FDP das andere Ökonomie-Ressort, nämlich Wirtschaft, erhalten würde - für ihren Parteivize Rainer Brüderle. Damit war freilich Amtsinhaber Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vorübergehend arbeitslos geworden. Merkel bot ihm die Wahl zwischen Verteidigung und Innenpolitik an. Der 37-Jährige nahm das Verteidigungsministerium. Dort kann er seine außenpolitische Erfahrung besser spielen lassen.

Alles kräftig hin- und hergeschoben



Das Innenministerium fiel damit an die CDU und Kanzleramtschef Thomas de Maizière, der in Sachsen schon einmal Innenminister war. In der Folge war klar, dass Merkels rechte Hand in der Partei, Generalsekretär Ronald Pofalla, nicht Arbeitsminister werden würde, wie es sein Wunsch gewesen war, sondern de Maizières Nachfolger im Kanzleramt.

Das und die bereits vorher getroffene Entscheidung, dass FDP-Chef Guido Westerwelle Außenminister und Vizekanzler würde, waren die Eckpunkte für die Verteilung der restlichen Ämter, die allerdings noch kompliziert genug war. Denn nun wurde noch einmal alles kräftig hin- und hergeschoben, um das Stärkeverhältnis der Parteien auszutarieren. Zwischendrin verschwanden ganze Ministerien durch Zusammenlegung (zum Beispiel Gesundheit und Familie oder Außenpolitik und Entwicklungshilfe), tauchten teilweise aber später wieder auf. Und es wurden per SMS Namen in die vor dem Gebäude wartenden fast hundert Journalisten lanciert, um die Verhandlungen drinnen indirekt zu beeinflussen.

Klar war vor dieser Runde, die bei Redaktionsschluss noch andauerte, nur, wen die einzelnen Parteien für welche Position vorgesehen hatten. So wollte die CSU Landesgruppenchef Peter Ramsauer für Verkehr aufbieten und Agrarministerin Ilse Aigner für ihr altes Ressort, ersatzweise auch für Entwicklungshilfe. Drei Ministerien, das war in jedem Fall das Ziel der Bayern. Fünf wollte daraufhin die FDP haben. Parteivize Birgit Homburger, die eigentlich Fraktionschefin werden wollte, stellte sich darauf ein, eventuell als Umweltministerin berufen zu werden. "Wenn alle so gelassen wären wie ich", sagte sie beim Betreten des Sitzungssaals.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für Justiz galt als gesetzt. Philipp Rösler wurde für Gesundheit ins Spiel gebracht. Doch das Amt peilte auch Ursula von der Leyen (CDU) an. Als Verlierer des Tages durfte sich der plötzlich nur noch "ehemalige" Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) fühlen. Er wurde mal als Arbeitsminister gehandelt, mal stand Landwirtschaft für ihn im Raum, denn er kommt aus dem Weinbau. Zittern musste ebenfalls die für Bildung verantwortliche Annette Schavan.

Auch inhaltlich feilte die Schlussrunde noch kräftig am Text des 235 Seiten dicken Koalitionsvertrages. Um 18 Uhr machte die große Runde eine Pause, und die Parteichefs zogen sich mit den Finanzexperten in den "Saal Düsseldorf" zurück, um das schwierigste Thema, die Finanzpolitik, zu entscheiden. Parallel organisierten die Pressechefs der Parteien für den heutigen Samstag, 10.30 Uhr, schon eine Abschluss-Pressekonferenz mit Merkel, Westerwelle und Seehofer. Man setzte sich also selbst unter enormen Entscheidungsdruck. Schemenhaft sah man durch das Fenster Guido Westerwelle heftig gestikulieren.

Bis Redaktionsschluss war klar, dass das Gesamtvolumen der Steuerentlastungen rund 25 Milliarden Euro umfassen sollte, auf halbem Weg zwischen den ursprünglichen Vorstellungen von Union (15 Milliarden) und FDP (35 Milliarden).

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