Merkel und der Stolz der Unterschätzten

Angela Merkel ist auf Wahlkampftournee im Osten Deutschlands unterwegs. Dort spielt sie virtuos auf der Klaviatur ihrer ostdeutschen Herkunft und spottet ab und an auch über den Westen. Ihren Zuhörern gefällt's.

Plauen. Angela Merkel ist auch als Kanzlerin eine ganz praktische und geerdete Frau geblieben, die noch selbst im Supermarkt einkauft. Und so ist sie sich nicht zu schade, eigenhändig das allerletzte Stück anzusagen, das an diesem Abend in Plauen gespielt wird, weil der Moderator es vergessen hat. "Jetzt kommt eigentlich noch was. Aber hören Sie selbst", ruft sie ins Mikrofon. Es kommt "Angie" von den Rolling Stones. Die Hymne auf sie. Über dem Altmarkt ist gerade die Sonne glühendrot untergegangen, und rund 4000 glückliche Vogtländer würden jetzt wohl Feuerzeuge schwenken, wenn sie nicht schon orange "Angie"-Plakate in den Händen hielten, mit denen sie winken. Angie winkt strahlend zurück.

150 Leute muss man von dem Jubel abziehen. Das sind Mitarbeiter der Enka-Kunstseide-Werke aus dem benachbarten Elsterberg, die um ihre Jobs bangen. Betriebsratschef Klaus Wirth hat Merkel am 24. Februar einen Brief geschrieben und bis heute keine Antwort bekommen. Deshalb stehen sie nun hier mit Transparenten wie "Zeit für Wahlkampf - Ja. Zeit für Elsterberg - Nein". Zwei Reihen Absperrgitter halten die Protestierer ebenso wie alle anderen nicht geladenen Neugierigen außerhalb eines inneren Rings, in dem 700 ausgesuchte Gäste sitzen, fast alles CDU-Leute aus der Region. Journalisten haben zu diesem inneren Ring keinen Zugang und werden von den schwarz gekleideten Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsdienstes rüde in einen gesonderten Bereich verwiesen. Dabei müsste die CDU gar nicht so viel Angst haben. Nur zwei, drei Leute rufen irgendwo aus der Menge auf dem Platz ab und zu "Buh", und auch die Enka-Protestierer erweisen sich als harmlos. Einige von ihnen klatschen sogar, als Merkel die Gier der Banker geißelt und sagt, die Schuldigen an der Finanzkrise säßen jetzt auf ihren Yachten, während die normalen Menschen es ausbaden müssten. So etwas dürfe nie wieder passieren. Merkel ist in diesem Wahlkampf die Volkskanzlerin.

Sie vermeidet jede Art von Polarisierung. Die SPD erwähnt sie nur ein Mal, und das eher positiv. Sie sagt, dass die Große Koalition viele gute Entscheidungen getroffen habe, "nicht nur die CDU alleine". Und als Begründung dafür, dass sie künftig mit der FDP regieren will, führt sie lediglich an, dass dann manches schneller gehe. Nur der Vorwurf, ihr SPD-Herausforderer Steinmeier habe mit seinem Deutschlandplan und dem Versprechen, vier Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, wenigstens ein Ziel formuliert, während sie unkonkret bleibe, scheint sie getroffen zu haben. Jedenfalls geht sie plötzlich ohne Grund und ohne Steinmeiers Namen zu nennen, darauf ein. Vollbeschäftigung? Dafür sei jeder. Es komme nur darauf an, wie man die erreiche. "Nicht durch instabile Regierungskoalitionen."

Merkels Rede enthält nur wenig inhaltliche Aussagen, dafür umso mehr Gefühl. Im Westen betont Merkel ihre ostdeutsche Herkunft selten, aber hier im Vogtland, wo man so stolz darauf ist, noch vor den Leipzigern gegen Erich Honecker demonstriert zu haben, spielt sie regelrecht damit. "Wir, die wir in der früheren DDR gelebt haben, dürfen stolz darauf sein."

Schon zu Beginn ihrer Rede erzählt sie, dass sie wegen ihres ersten Ehemannes oft in der Gegend war, aber vom örtlichen Dialekt nichts behalten habe, außer dem Satz: "Wo die Hosen Hasen heißen und die Hasen Hosen, da bin ich daham." Die Menge johlt. "Ein Unrechtsstaat war die DDR, jawohl", sagt die Kanzlerin, "aber die allermeisten haben versucht, ein anständiges Leben zu führen".

Das hört man hier gern. Vor allem auch ihren Spott über die im Westen. Sie nimmt als Beispiel das Abitur mit zwölf Jahren, das es in der DDR immer schon gab. "Dabei habe ich nicht den Eindruck, dass ich weniger weiß als die im Westen", sagt Merkel unter zustimmendem Gelächter des Publikums. Dann mokiert sie sich über die Bedenken in den alten Ländern, als Sachsen es wieder einführte. "Schwuppdiwupp gab es Pisa, und da war Sachsen an der Spitze, und da haben die im Westen aber nicht schlecht gestaunt". In diesem Stil geht es weiter. Merkel vermittelt den Ostdeutschen Stolz auf sich, ihre Herkunft und ihre Lebensleistung, und zwar in einer Art der kritischen Abgrenzung zum Westen, wie es sonst nur PDS-Politiker wie Gregor Gysi tun. Bis hin zu der Feststellung, sie sei mal gespannt, ob die Leute in Baden-Württemberg, wo jetzt die Krise zuschlage, die Situation mit so viel Veränderungsbereitschaft und Optimismus hinkriegten, wie die Ostdeutschen nach der Wende.

Spätestens jetzt vereinigen sich die Plauener mit ihrer Kanzlerin zu einer verschworenen Gemeinschaft der stolzen Unterschätzten. Die Erfurter Rock-Röhre Petra Zieger singt dazu ihr Einheits-Lied "Das Eis taut" und dann, "speziell für unsere Bundeskanzlerin" den Titel "Superfrau". Die Menge klatscht und singt die bekannten Ost-Hits aus voller Kehle mit. Angela Merkel lacht und wippt mit der Hüfte. So schön kann Wahlkampf sein.

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