Milchbäuerinnen kämpfen um ihre Existenz

Demonstration samt Hungerstreik vor dem Kanzleramt in Berlin: Deutschlands Milchbäuerinnen sind aufgebracht. Sie kämpfen um ihre Existenz - und wollen die Kanzlerin persönlich sprechen.

Berlin. Sie müsste sich ja nur mal über die Brüstung ihrer Kanzlerinnen-Terrasse beugen, und schon würde sie sehen, was sich da nicht weit entfernt im Berliner Tiergarten abspielt. Dann würde sie auch die Transparente lesen können: "Zum 60. Jubiläum Butterpreise wie damals!" Oder: "Bauern brauchen einen fairen Preis: 40 Cent".

Gut, Angela Merkel weiß Bescheid, dass dort seit vergangenem Montag Milchbäuerinnen campieren und protestieren, um auf die desolate Lage ihrer Zunft hinzuweisen. Sie hat für ein paar warme Worte Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) geschickt, dazu CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, der bislang nicht gerade als Agrarexperte bekannt gewesen ist. Und gestern Abend raffte sich auch CSU-Chef Horst Seehofer zu einer kurzen Visite auf. Aber die 150 Bäuerinnen aus dem gesamten Bundesgebiet geben partout keine Ruhe: "Ich möchte Merkel persönlich sagen, wie enttäuscht ich bin", erklärt Elfriede Lehmann aus Baden-Württemberg. Sie ist eine zierliche Frau mit langen dunklen Haaren, aber ihren Händen sieht man an, dass sie ordentlich zupacken kann. Seit Donnerstag trägt die 37-Jährige ein Schild um den Hals, das erklärt, warum ihre Stimme ein bisschen brüchig klingt: "Ich hungere für den Milchgipfel", steht darauf. Mit ihr tun dies inzwischen fünf andere Milchbäuerinnen auf der Tiergartenwiese. Sie alle hoffen, dass sich die Kanzlerin von ihrer Aktion doch noch erweichen lässt und sie nebenan im Kanzleramt empfängt. Damit sie sie auffordern können, zusammen mit der EU endlich gegen die Dumpingpreise bei der Milch vorzugehen.

"Weiter kämpfen" hat Elfriede Lehmanns Mann Stefan ihr am Telefon gesagt. Das hören alle Frauen, wenn sie mit ihren Männern zu Hause sprechen. Oma, Opa, die vier Kinder, alle packen jetzt daheim mit an. 40 Milchkühe und 60 Hektar Land müssen schließlich weiter versorgt und bewirtschaftet werden, während die Mutter versucht, mit den anderen Frauen die große Politik aufzurütteln. "Wir fühlen uns hintergangen", sagt Lehmann, "viele von uns sind schon in den roten Zahlen." Sie alle befürchten, dass 30 000 Höfe vor dem Aus stehen, und halten durch. Mit dieser Hartnäckigkeit haben die Politiker nicht gerechnet. Die sonst so abgebrühten Volksvertreter werden angesichts des sichtbaren Dauerprotestes langsam nervös.

Meinung

Runter vom Thron!

Angela Merkel würde sich keinen Zacken aus dem Kanzlerinnen-Krönchen brechen, wenn sie den hungerstreikenden Milchbäuerinnen neben ihrem Amt mal einen kurzen Besuch abstatten oder eine Delegation empfangen würde. Im Gegenteil. Im Raumschiff der Macht kann es nicht schaden, ab und an etwas Erdung zu bekommen. Bei Opel und Volkswagen war sie; bei fast jedem Verband spricht sie inzwischen ein Grußwort, wissend um den Einfluss solcher Organisationen. Und regelmäßig sitzt sie mit Deutschlands Top-Managern zusammen. Alles wichtige Gespräche und Treffen, keine Frage. Nur: Bei den paar Milchbäuerinnen nebenan wären die real existierenden Existenzängste für Merkel auch mal ganz konkret erlebbar. Merkel muss zudem wissen: Die Wirtschaftskrise wird sie in den nächsten Wochen häufiger vor die Frage stellen, ob sie vom Thron herabsteigen soll oder nicht. Sie sollte - und bei den Milchbäuerinnen kann sie damit gleich beginnen. nachrichten.red@volksfreund.de

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