Milliarden im Topf, aber kein Geld für besseres Hörgerät

Trier · Die gesetzlichen Krankenkassen machen derzeit Milliardenüberschüsse. Kein Wunder, dass sich viele Versicherte fragen, warum ihnen ihre Kasse trotzdem bestimmte Leistungen, wie etwa ein besseres Hörgerät, nicht zahlt. Zwei Beispiele aus der Region.

Trier. Wenn Christian Sasse etwas über die Milliardenüberschüsse der gesetzlichen Krankenkassen liest, kocht in dem 28-Jährigen jedes Mal die Wut hoch. Sasse ist von Geburt an schwerhörig. Ohne Hörgerät ist er fast taub. Seine Krankenkasse, die BKK Audi, bezahlt ihm ein normales Hörgerät. Doch das sei nicht ausreichend für ihn, sagt Sasse. Er arbeitet in einem Baumarkt mit vielen Nebengeräuschen. Sein jetziges Hörgerät sei nicht stark genug, er höre daher oft nicht richtig, wenn Leute mit ihm redeten. Gutachten hätten ihm eine hochgradige Schwerhörigkeit bescheinigt.
Seit Jahren kämpft Sasse mit seiner Krankenkasse. Er verlangt, dass sie ihm ein besseres Hörgerät bezahlt. 4500 Euro würde ein solches Gerät kosten. Doch die Kasse weigert sich, zahlt nur den vorgeschriebenen Festbetrag für ein Hörgerät, 1800 Euro. "Ich zahle seit Jahren meine Krankenkassenbeiträge. Das ärgert mich, dass mich die Kasse nun so hängen lässt", sagt Sasse. Er befürchtet, dass er ohne besseres Hörgerät seinen Job verliert. Doch die BKK Audi bleibt hart. Eine "normale Versorgung" reiche aus, sagt BKK-Audi-Sprecher Philipp Drinkut. Es liege keine hochgradige Schwerhörigkeit vor. Wenn Christian Sasse ein höherwertiges Hörgerät haben wolle, müsse er die Mehrkosten aus eigener Tasche bezahlen.
"Ich habe außer dem Hörgerät nie Ansprüche an die Kasse gestellt und nun haben sie kein Geld für mich", sagt Sasse.
Auch Stefanie Schneider aus Trier ist sauer auf ihre Krankenkasse. Als bei der 44-Jährigen im Frühjahr der Verdacht auf Lymphdrüsenkrebs bestand (der sich dann aber zum Glück nicht bestätigte), ging sie zu einer Heilpraktikerin. Diese habe die Ursache für die geschwollenen Lymphknoten festgestellt, anders als ihre Ärzte. Als sie ihre Kasse um die Übernahme der Kosten für die Heilpraktiker-Behandlung - laut Schneider weniger als 200 Euro - bat, lehnte diese ab. "Obwohl ich mich gesund ernähre, regelmäßig Sport treibe, Nichtraucherin bin und nur wenig Alkohol trinke, vermittelt mir meine Krankenkasse, dass es sich doch lohne, eine ungesunde Lebensweise zu haben", ärgert sich Schneider. Die Kasse bezahle lieber Krankheit als Gesundheit. Und das trotz der Überschüsse, die die Krankenkassen derzeit horteten.
"Bei guter Einnahmesituation können - wie derzeit der Fall - Überschüsse entstehen, von Horten kann aber keine Rede sein", sagt Martin Schneider. Er ist Chef des rheinland-pfälzischen Ersatzkassenverbandes. Die Überschüsse dienten vielen Kassen dazu, die gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen zu bilden. Trotz der Mehreinnahmen, bedingt durch die gute Beschäftigungslage (jeder zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigte zahlt Beiträge an seine Krankenkasse), versuchen die Kassen, ihre Ausgaben möglichst niedrig zu halten, und zahlen oft nicht mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen. Auch mit Beitragsrückzahlungen halten sie sich zurück. Angesichts steigender Ausgaben bestehe die Gefahr für die Kassen, dass sie dann ihre Versicherten mit Zusatzbeiträgen belasten müssten, sagt Schneider. Angesicht der für nächstes Jahr möglichen schlechteren Lage am Arbeitsmarkt und höherer Ärztehonorare sei die Gefahr "durchaus real". Außerdem bedeuteten Prämien Verwaltungsaufwand und höheren Kosten bei den Kassen, so Schneider. "Geld, das für eine bessere Versorgung der Versicherten nicht zur Verfügung steht."Extra

Beitragsrückerstattung oder nicht? Wie argumentieren die Kassen? Die Techniker Krankenkasse hat beschlossen, 2013 eine Prämie von bis zu 80 Euro an ihre Mitglieder auszahlen. "Damit sollen auch die über 263 000 rheinland-pfälzischen Mitglieder der Kasse an der guten Finanzsituation beteiligt werden", sagt die rheinland-pfälzische TK-Chefin Anneliese Bodemar. Walter Bockemühl, Chef der AOK Rheinland-Pfalz Saar: "Um die Finanzen der AOK steht es relativ gut. Wir werden mit einem Überschuss das Jahr 2012 abschließen. Den Überschuss werden wir der Rücklage zuführen - um die gesetzlich vorgeschriebene Rücklagehöhe von 75 Millionen Euro zu erreichen." Gerhard Freiler, Verwaltungsratsvorsitzender der IKK Südwest: "Uns ist ein attraktives Leistungsangebot wichtiger als eine geringe Fangprämie in Höhe von fünf bis zehn Euro pro Monat, die zudem noch individuell versteuert werden muss." Katharina Steinbach, Sprecherin der Barmer GEK in Rheinland-Pfalz: "Wir haben 2011 mit plus 696 Millionen Euro abgeschlossen. 2013 wird es für jeden Versicherten ein individuelles Gesundheitskonto in Höhe von jährlich 150 Euro geben. Darin sind Zuschüsse etwa für professionelle Zahnreinigung und Auslandsimpfungen enthalten und auch Leistungen der Prävention. Eine zusätzliche Prämienzahlung wird es nicht geben. wieExtra

Die Praxisgebühr ist eine Zuzahlung von zehn Euro, die seit 2004 für alle gesetzlich Versicherten bei Arzt-, Zahnarzt- oder Psychotherapeutenbesuchen sowie im ärztlichen Notdienst oder in der Notaufnahme eines Krankenhauses einmal im Quartal fällig wird. Die Gebühr kommt den Krankenkassen zugute. Wegen der guten Finanzsituation der Kassen wird der Ruf nach einer Abschaffung der Praxisgebühr immer lauter. Die Kassen warnen: "Wenn man über die Abschaffung der Praxisgebühr nachdenkt, muss man gleichzeitig die Frage beantworten, wie man den Einnahmeausfall von rund zwei Milliarden Euro kompensiert", sagt Martin Schneider, Chef des Ersatzkassenverbandes Rheinland-Pfalz. wie

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