Mit der Brechstange

Abermals hat der Bundeskanzler die Keule schwingen müssen, um widerspenstige Genossen zu zähmen. Als alarmierend muss dabei der Umstand empfunden werden, dass Gerhard Schröder seine Rücktrittsdrohungen in immer kürzeren Abständen zur Disziplinierung der Abweichler einsetzen muss.

Dies verstärkt den vorherrschenden Eindruck, die SPD habe sich in ihrer Gesamtheit trotz monatelanger Diskussion nicht mit dem Kurswechsel des Kanzlers anfreunden können. Tatsächlich liegt der desorientierten Partei die Reform-Agenda schwer und unverdaut im Magen. Die Abstimmungsergebnisse vom Freitag taugen jedenfalls nicht als zuverlässiger Hinweis auf die wahre Befindlichkeit der SPD. Die Ergebnisse sind schon deshalb nicht ehrlich zu nennen, weil sie durch die fragwürdige Ausübung enormen Drucks zustande gekommen sind. Wären die Abstimmungen wirklich so frei, wie dies zuweilen in demokratiebeschwörenden Sonntagsreden vorgegaukelt wird, hätte der Kanzler seine "eigene Mehrheit" in den Wind schreiben können. Ohnehin lässt sich die eigene Mehrheit nur durch die Kunst der eigenen Rechenmethode gesichtswahrend ableiten. Rot-Grün konnte nämlich nur deshalb durchatmen, weil bei der Opposition über 20 Zählkandidaten gefehlt haben. Doch eigentlich ist das jeweilige Schönrechnen ohne Belang. Entscheidend ist vielmehr der Geist, der hinter einem Votum steht, und diesbezüglich sieht es nicht gut aus für Schröder und die SPD. Das parlamentarische Durchwinken der Gesundheitsreform und des gelockerten Kündigungsschutzes war von deutlich vernehmbarem Zähneknirschen begleitet. Zudem lässt sich nur schwer bestreiten, dass es mit der Moral der rot-grünen Truppe, die in öffentliche Erklärungsnot geraten ist, nicht zum Besten bestellt ist. Schröders Hinweis auf den "Zerfallsprozess von 1982" spricht Bände. Damals starb das sozialliberale Projekt einen plötzlichen Tod, weil sich die Sozialdemokraten gegen die von der FDP geforderten Sozial-Einschnitte sträubten - und seinerzeit lieber in die Opposition gingen als ihre Seele zu verkaufen. Die SPD des Jahres 2003, angeführt von dem unsentimentalen Pragmatiker Schröder, ist vor solchen Anfechtungen gefeit. Sie leidet allerdings an grassierender Schwindsucht und läuft Gefahr, in der politischen Versenkung zu verschwinden. Die Bayernwahl am vergangenen Sonntag hat dies eindrucksvoll belegt. Bundesweit bekennt sich nur noch ein harter Masochisten-Kern von 28 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung zur einst so stolzen SPD. Und eine Tendenz zum Besseren ist nicht erkennbar. Immerhin ist die Gesundheitsreform nun über die Hürden, erlahmt scheint auch der interne Widerstand gegen die Arbeitsreformgesetze. Schröder kann seine Brechstangen-Politik somit als Erfolg verbuchen - für den er aber einen hohen Preis zahlt. Denn angesichts der weiteren Reformschritte, die von der nur scheinbar reformbereiten Bevölkerung in ihren konkreten Auswirkungen abgelehnt werden, deutet sich ein Szenario an, vor dem sich Sozialdemokraten wie Grüne fürchten: Der Kanzler erreicht den Hof mit Mühe und Not; das Kind in seinen Armen, die SPD, ist tot. nachrichten.red@volksfreund.de

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