"Mit Grenzkontrollen werden die Probleme nicht gelöst"

Luxemburg · Statt über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zu diskutieren, sollte sich Europa Gedanken machen, wie etwa den Menschen in Tunesien zu helfen ist, damit sie nicht fliehen müssen. Das fordert der luxemburgische Europaabgeordnete Robert Goebbels.

 Robert Goebbels. Foto: Luxemburger Tageblatt

Robert Goebbels. Foto: Luxemburger Tageblatt

Luxemburg. Von neuen Grenzkontrollen hält der luxemburgische Europaabgeordnete Robert Goebbels gar nichts. Das macht er im TV-Interview klar. Mit Goebbels sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

Was halten Sie von der Ankündigung Dänemarks, wieder Grenzkontrollen einzuführen?
Goebbels: Das ist total illegal. Es verstößt gegen die EU-Verträge, die auch Dänemark mitgetragen hat, und zeigt, dass die Europäische Union mit einer Renationalisierung ihrer Politik in einer sehr schlechten Phase ihrer Geschichte ist. Das ist der Druck der rechtsextremen Parteien, die überall nach oben kommen und die nicht wissen, was sie tun.

Was würde die Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Europa für die Großregion bedeuten?
Goebbels: Das wäre sehr schädlich für die Großregion. Wir haben täglich 150 000 Pendler in Luxemburg. Dann würden die Schlangen an den Grenzen noch länger werden, als sie aufgrund der schlechten Anbindung jetzt schon sind. Das ist doch absurd. Schengen, davon bin ich überzeugt, war ein riesiger Fortschritt. Die Leute wissen heute nicht mehr, wie die Lage an den Grenzen vor Schengen war.

Nicht nur Dänemark sondern auch Frankreich und Italien denken über Grenzkontrollen nach.
Goebbels: Die Staatschefs dieser Länder kennen den Inhalt der Verträge nicht, die sie selbst unterzeichnet haben. Darin steht, dass es keine Kontrollen an den EU-Innengrenzen gibt und dass die Mitgliedsstaaten gemeinsame Kontrollen der Außengrenzen organisieren müssen. Die Forderung nach Grenzkontrollen ist reiner Populismus, der in vielen Ländern immer stärker wird

Sind ständige Grenzkontrollen überhaupt realistisch?
Goebbels: Nein. Es gibt jährlich an den Schengen-Grenzen über eine Milliarde sogenannter Grenzübergänge. Wer will die kontrollieren? Und obwohl die Außengrenzen kontrolliert werden, kommen trotzdem illegale Flüchtlinge in die Europäische Union. Mit Grenzkontrollen werden die Probleme nicht gelöst. Gleichzeitig ertrinken immer wieder Menschen im Mittelmeer - und dann machen wir Gedenkminuten im europäischen Parlament.

Was muss stattdessen getan werden?
Goebbels: Wir müssen den Menschen etwa in Tunesien helfen, damit sie dort bleiben können und nicht fliehen müssen. Die tunesischen Flüchtlinge auf der italienischen Insel Lampedusa zum Beispiel sind größtenteils gut ausgebildete Menschen, die leider keine Arbeit in Tunesien finden. Die werden in ihrer Heimat aber eher gebraucht, als dass sie bei uns als Tellerwäscher arbeiten.

Sie halten es also für völlig unrealistisch, dass es wieder zu Grenzkontrollen kommt?
Goebbels: Es gibt bereits Möglichkeiten, zeitlich begrenzt für 30 Tage Kontrollen einzuführen, wenn etwa Gefahr in Verzug ist. Denken Sie etwa an die FußballWeltmeisterschaft in Deutschland im Jahr 2006. Da gab es Grenzkontrollen, um Hooligans an der Einreise zu hindern. Es ist aber doch völlig absurd zu glauben, während der Urlaubszeit, wenn Millionen Menschen in Europa in die Ferien unterwegs sind, könnte man riesige Staus an den Grenzen riskieren, um vielleicht einen illegalen Flüchtling zu finden.

Sie sprachen davon, dass die EU in einer schlechten Phase ist. Für wie ernst halten sie die Situation
auch im Hinblick auf die Finanzkrise?
Goebbels: Die Krise ist sehr ernst. Die EU taumelt führungslos dahin. Wir haben nur noch national denkende Politiker, die kurzfristige Ziele verfolgen, seien es Bundeskanzlerin Merkel, der französische Staatschef Sarkozy oder der italienische Berlusconi - und jetzt die Dänen. Es gibt keine Alternative zur EU.Meinung

Hausgemachte Krise
Wie abstrus und realitätsfern die Schließung der Schlagbäume wäre, zeigt sich wohl nirgends besser als in der Großregion. Gerade die Menschen an Saar und Mosel, in der Eifel, im Hunsrück, in Luxemburg, Wallonien und Lothringen haben am meisten von der vor 26 Jahren beschlossenen Grenzöffnung profitiert. Ohne sie gäbe es heute keinen grenzenlosen Arbeitsmarkt, der dazu führt, dass in der Region Vollbeschäftigung herrscht. Kaum einer erinnert sich heute noch daran, wie es war, als jedes Auto an der Grenze zu Luxemburg von einem meist grimmig blickenden Zöllner angehalten wurde und man immer seinen Ausweis griffbereit halten musste. Die Reisefreiheit ist eine Errungenschaft, die nicht aus populistischen Gründen aufs Spiel gesetzt werden darf. Die offenen Grenzen sind zum Markenzeichen des vereinten Europa geworden. Genauso wie der Euro. Die Diskussion über das Dichtmachen der Grenzen, die Abschaffung des Euro oder den Austritt einzelner Länder aus der Währungsunion befeuert die Euro-Skeptiker und zeigt, wie groß die Krise in Europa wirklich ist. Eine hausgemachte Krise, ausgelöst durch egoistisches Nationalstaatsdenken. b.wientjes@volksfreund.de
Zur Person


Robert Goebbels, 67, sitzt für die luxemburgischen Sozialisten im Europaparlament. Als Staatssekretär im Außenministerium war er an der Unterzeichnung des Schengen-Vertrags 1985 beteiligt.

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