Mit Jod gegen den Gau

Darüber geredet wird von Regierungsseite ungern, doch angesichts der Debatte um die Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke stellt sich die Frage, was passiert, wenn es in Deutschland zum "nuklearen Katastrophenfall" kommt.

Berlin. Die Bundesregierung verweist auf die Zuständigkeit der Länder, sieht die Republik aber für den Fall der Fälle gut gerüstet. Die Opposition glaubt das nicht. Und in diesem Zusammenhang warnen Experten davor, die Sicherheit der Atomkraftwerke (AKW) auf die leichte Schulter zu nehmen.

Als Reaktion auf den schweren Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 überarbeiteten viele Staaten ihre Programme zum Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Strahlung, insbesondere nach nuklearen Unfällen. Internationale und nationale Notfallschutzplanungen wurden neu gestaltet, so auch in Deutschland. Geschieht also hierzulande der Störfall, der Gau bei einem der 17 deutschen Meiler, dann greifen die umfangreichen Mechanismen des Katastrophenschutzes. Kurz bedeutet dies:

Die Bevölkerung wird über Sirenen, durch Lautsprecherdurchsagen und per Radio und Fernsehen gewarnt, das Gebiet rund um ein Kernkraftwerk wird in Gefahrenzonen eingeteilt.

Experten nehmen Messungen, Proben, Auswertungen vor sowie die Dekontamination (Entgiftung). Rasch werden auch Lebensmittel, Futtermittel, Boden, Trink- und Grundwasser auf ihre Strahlenbelastung untersucht.

Darüber hinaus halten die Länder Evakuierungspläne bereit. Je nach Schwere des Unfalls kann es sogar im weiteren Verlauf zu Umsiedlungen kommen. "Die Kosten trägt der Inhaber der Anlage", so die Bundesregierung kurz und bündig.

Als eine der wichtigsten Maßnahmen nach einem Störfall sehen Bund und Länder auch die Verteilung von Jodtabletten im Umkreis von 100 Kilometern eines Kernkraftwerks an. Dafür wurden 2004 rund 137 Millionen solcher Pillen neu beschafft. Die Tabletten für den 25 Kilometer-Nahbereich rund um ein AKW wurden je nach Landesplanung an die Haushalte vorverteilt, meist jedoch dezentral eingelagert. Der Rest liegt in acht über die Republik verteilte Lager. Durch die Einnahme soll bei einem Atomunfall verhindert werden, dass radioaktives Jod von der Schilddrüse aufgenommen wird und zu Gesundheitsschäden führt. "In einem Ereignisfall müssen die Jodtabletten innerhalb von zwölf Stunden und unabhängig von Tageszeit und Witterung ausgeliefert werden können", heißt es beim Bundesamt für Strahlenschutz.

Genau das scheint aber ein Problem zu sein. Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, bemängelt, dass es keine Organisation gebe, "der man es zutraut, die Verteilung der Jod-Tabletten sicher zu organisieren." Auch müssten die Tabletten in Schulen und Kindergärten sicherheitshalber vorgehalten werden. Deutschland "ist nicht gut gerüstet im Katastrophenfall", glaubt die Grüne. "Von den bevorrateten Mengen her sind wir gut aufgestellt", sagt der Vorsitzende der Strahlenschutzkommission, Professor Rolf Michel aus Hannover. Die Frage sei in der Tat, "wie man das Material zum richtigen Zeitpunkt unter die Leute bringt". Mit Blick auf die von der Koalition beschlossene Laufzeitenverlängerung und eine dadurch mögliche Zunahme von Risiken warnt er: "Wer die Laufzeiten verlängert, muss auch für zusätzliche Kontrollen, Wartungen und technische Nachrüstungen sorgen. Wir wollen keinerlei Abstriche bei den Sicherheitsstandards haben." Die Strahlenschutzkommission berät das unionsgeführte Umweltministerium.

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