Mit Müsli zur Macht

BERLIN. Vor 20 Jahren zogen die Grünen in den deutschen Bundestag ein - und veränderten damit die politische Kultur des Landes völlig.

Es war eine große Wende. Nicht die "geistig-moralische", die derneue Bundeskanzler Helmut Kohl leichtfertig versprochen hatte,sondern die Wende hin zu einer anderen Republik. Vor 20 Jahren,am 6. März 1983, errang Kohl nicht nur seinen ersten von vierWahlsiegen; es wurde auch eine neue Partei in den 10. DeutschenBundestag gewählt (mit 5,6 Prozent der Stimmen), die in nahezujeder Hinsicht anders war als die drei etablierten Parteien: DieGrünen. Das historische Datum markiert den Beginn einererstaunlichen Erfolgsgeschichte, in deren Verlauf sich derzusammen gewürfelte Haufen aus Umweltschützern,Frauenrechtlerinnen, Spontis, Pazifisten und (Ex-)Kommunistenanschickte, die Welt zu verändern. Inwieweit das ehrenwerte Vorhaben tatsächlich gelungen ist, müssen Historiker beantworten. Fakt ist aber, und das hätten die Urgrünen damals vehement abgestritten, dass die Welt die Grünen verändert hat. Tapfer versuchten sie zwar in den Anfangsjahren, ihre Grundsatzpositionen zu verteidigen. Doch im Laufe der Zeit mussten auch die Alternativen den politischen Gegebenheiten Tribut zollen. Relativ schnell legten sie ihr Müsli-Image ab und tauschten Latzhosen und selbst gestricktes gegen Designer-Klamotten. Als Lohn für soviel Pragmatismus sitzen die Pioniere der Bewegung heute in den höchsten Staatsämtern: Joschka Fischer als Außenminister und Vizekanzler, Otto Schily als (zur SPD konvertierter) Innenminister, Antje Vollmer als Bundestagsvizepräsidentin, Marieluise Beck als Staatssekretärin.

Am lautesten jubelte am Abend des 6. März 1983 der erste echte Grünen-Star, Petra Kelly. Die exaltierte Mitbegründerin der Grünen war am Etappenziel ihrer Träume angekommen. Doch für sie begann auch eine Leidenszeit, weil die Basis Kellys Promi-Status stutzen wollte und sie oftmals ausbremste. Zehn Jahre später sollte sie tot sein, erschossen von ihrem Partner Gerd Bastian, der als Ex-General das bunte Spektrum der Sponti-Truppe bereichert hatte. Eine persönliche Tragödie, keine politische: Auch ohne die Galionsfigur Kelly setzten die Grünen ihren Siegeszug fort.

Einst "Schmuddelkinder", heute im Nadelstreifen

Die meisten der 28 Abgeordneten, die damals ins Parlament gewählt wurden, sind heute in der Versenkung verschwunden, auch eine Folge des heftig umstrittenen Rotationsprinzips, das die grünen Gutmenschen vor den Verlockungen der Macht beschützen sollte. Nur die harten Kaliber haben sich durchgesetzt, sind trotz langer Frustphasen am Ball geblieben und wieder zum Zuge gekommen. Ihre Geduld hat sich auf jeden Fall gelohnt: Die Grünen haben sich nicht nur zu einer demokratischen Institution entwickelt, sondern haben auch die politische Kultur verändert. Politik ist transparenter geworden, der Umweltschutz wird heute von allen Parteien ernst genommen, die "Frauen-Power" hat sicht- und spürbar Zeichen hinterlassen.

Die Blumen, die sie seinerzeit mitbrachten ins Plenum, das "ungebührliche" Benehmen der politischen "Schmuddelkinder" und die verächtlichen Kommentare konservativer Unionskollegen ("Ob die sich heute schon gewaschen haben?") sind ebenso Geschichte wie die spektakulären Auseinandersetzungen der "Fundis" mit den "Realos". Letztere haben sich auf der ganzen Linie durchgesetzt, während die "Fundis" in die innere Emigration abgedriftet sind. Am besten lässt sich die grüne Häutung an der Partei-Ikone Joschka Fischer ablesen, der heute Nadelstreifen trägt und nichts mehr mit dem Fischer zu tun hat, der im Jahre 1983 den Bundestag als "Alkoholikerversammlung" diffamiert und den Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen "mit Verlaub" als "Arschloch" bezeichnet hatte.

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